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Armut, Flucht und Corona

„Coronahilfe für Arme: Immerhin etwas mehr. Die Große Koalition beschließt Coronahilfen für Hartz-IV-Empfänger und Familien. Die Kritik, dass das viel zu wenig sei, ist überzogen“, taz vom 5. 2. 21

Kinder von Asylbewerbern und Geduldeten leben in Asylunterkünften, die vielerorts wie hier im Landkreis Erding (Bayern) keine oder zumindest keine belastbaren Internetzugänge besitzen. Diese Kinder leiden in dieser Zeit der Pandemie nicht nur unter den beengten Wohnverhältnissen in den Unterkünften – zum Beispiel bei uns im Landkreis: sechsköpfige Familie in einem Zimmer! Sie erhalten auch keine zusätzliche finanzielle Unterstützung durch den Staat, während alle kindergeldberechtigten Kinder 2020 einen Bonus in Höhe von 300 Euro bekamen. Auch bei der jetzt beschlossenen Coronahilfe sind Kinder ohne Kindergeldbezug wieder außen vor. Keine zusätzlichen Hilfen sind geplant. Und wer kein Hartz IV beantragen kann, bekommt über das Jobcenter oder eine andere Behörde auch kein digitales Endgerät finanziert. „Es kann einem schon bange werden“, aber eben auch, wenn man sich fragt, wer einmal mit den Folgen von Ausgrenzung, Kinderarmut und fehlender Unterstützung zurechtkommen muss. Franz Leutner, Dorfen

Unsichtbar: Weil wir funktionieren

Ein Le­se­r*in­nen­brief von So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen aus der Stationären Kinder- und Jugendhilfe

Dieser Brief soll sich gar nicht auf die Geschichte und die negative Stigmatisierung von sogenannten Kinderheimen beziehen. Dieser Brief bezieht sich auf die schlechten Zustände, die heute eine Rolle spielen. Zustände, die sich auf die körperliche und vor allem mentale Gesundheit von Mit­ar­bei­te­r*in­nen niederschlagen. Und somit auch Zustände, die sich in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen widerspiegeln. Wir sind ein junges, motiviertes, offenes und leistungsbereites Team. Wir haben großen Spaß an unserer pädagogischen Arbeit. Die Diskrepanz zwischen dem, wie wir mit den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen umgehen, und dem, wie mit uns Mitarbeitenden umgegangen wird – sie ist immens! Und damit ist nicht gemeint, dass die Bezahlung mies ist. Das wissen wir sowieso alle. Unterschwellig wird von uns Mitarbeitenden erwartet, dass wir immer funktionieren, stets erreichbar und jederzeit auf Abruf bereit sind. Quasi eine dauerhafte und unbezahlte Rufbereitschaft. Wir sollen den Laden am Laufen halten, indem wir ähnlich wie unser Herz dauerhaft und ohne Pause funktionieren – die Auswirkungen eines Stillstands wären fatal. Am besten sollen wir loyale untergebene Mitarbeitende sein, die keinerlei Entscheidungen „von oben“ hinterfragen. Ganz überspitzt gesagt: Che­f*in sagt, Un­ter­ge­be­ne*r macht. Und es gibt eben noch genügend Sozialarbeiter*innen, die das so machen. Weil ihnen die Schicksale der jungen Menschen am Herzen liegen. Weil sie die jungen Menschen nicht im Stich lassen möchten. Weil Beziehungsabbrüche für die jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe toxisch sind.

Die Gesellschaft ist gerade im Umbruch: Wir haben keine Lust mehr, dass wir deswegen ausgenutzt werden, weil wir gerne anderen Menschen helfen. Wir haben keine Lust mehr, dass unsere Bedürfnisse hinten angestellt werden. Wir haben keine Lust mehr, nur zu funktionieren. Wir wünschen uns, dass unsere Grenzen gewahrt werden und ein Nein akzeptiert wird. Wir haben ein Leben außerhalb der Arbeit.

Leider haben wir in der Praxis schon häufig erlebt, dass diese Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden. Wenn man beispielsweise das Motto „Chef*in sagt, Un­ter­ge­be­ne*r macht“ hinterfragt oder gar etwas für die Mitarbeitendengesundheit einfordert, riskiert man, zur Zielscheibe zu werden. So haben wir schon erlebt, dass Mitarbeitende zu Personalgesprächen eingeladen oder Sprüche wie „Reisende soll man nicht aufhalten“ geäußert wurden.

Und das alles nur, weil kein Interesse daran besteht, an einer gemeinsamen Kommunikation zu arbeiten.

Was macht das mit einem Menschen? Es macht uns sauer. Es macht uns wütend. Es enttäuscht uns. Es lässt ei­ne*n verzweifeln. Namen sind der Redaktion bekannt