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Archiv-Artikel

Dinner for One

Vertrauliche Dokumente legen nahe: Die Investmentbank Morgan Stanley hat bei dem heftig umstrittenen EnBW-Deal ein Problem mit der Unabhängigkeit. Ein hausinterner „Conflict Check“ der beteiligten Banker René Proglio und Dirk Notheis zur Vermeidung von Interessenkollisionen stand noch aus, als beide den womöglich überhöhten Kaufpreis bereits mit eingetütet hatten. Jetzt wurde offiziell bestätigt, dass Dirk Notheis seinen Job los ist. Er sitzt nicht mehr im Vorstand von Morgan Stanley Deutschland.

Von Meinrad Heck

Es begann mit einem Abendmahl in Paris. Dirk Notheis hatte für jenen 10. November 2010 vorgesorgt. Es war ein Mittwoch, und am Abend würden sich Ministerpräsident Stefan Mappus, sein Kumpel Dirk Notheis mit den Zwillingsbrüdern René und Henri Proglio in Paris treffen. René Proglio war Frankreich-Chef der Investmentbank Morgan Stanley, die kurz zuvor vom Land Baden-Württemberg als Berater für den milliardenschweren Rückkauf der EnBW-Anteile der französischen EDF engagiert worden war, sein Zwillingsbruder Henri war Chef ebenjener EDF. Notheis organisierte den Flug für Mappus. „Flieger geht um 18.15 Uhr ab Frankfurt“, schrieb Notheis dem damaligen Ministerpräsidenten. „Schaffst du es, um 17.30 Uhr allerspätestens am Flughafen zu sein? Das ist entscheidend.“

Mappus schaffte es. Das Abendmahl war für 21 Uhr terminiert. Da sprachen die vier Herren noch über einen Kaufpreis von 36,90 Euro pro Aktie. Es sollten Tage später 39,90 und schlussendlich 41,50 Euro werden. Machte summa summarum 4,67 Milliarden Euro. Der Einstieg in jenen Big Deal, der zum politischen Befreiungsschlag für Stefan Mappus werden sollte, war jenes Abendessen in Paris im kleinen Kreis. „Das war vielleicht das wichtigste Dinner deiner politischen Karriere“, schrieb Notheis seinem Ministerpräsidenten am Tag danach morgens um 7.07 Uhr. „Und geschmeckt hat's auch noch.“ Mappus war an jenem Folgetag schon seit Stunden wach. „Super, und vielen Dank, liebe Grüße, SM“, mailte er seinem Kumpel in aller Herrgottsfrühe um 5:26 Uhr.

Die Zwillingsbrüder und der „Tandem-Deal“

Morgan Stanleys Frankreich-Chef René Proglio – immerhin auf der Käuferseite der Mappus-Berater – will diesen Termin mit seinem Zwillingsbruder, dem Verkäufer, nur vermittelt haben. Manche vertrauliche Korrespondenz lässt jedoch darauf schließen, dass er viel tiefer in den Deal mit seinem Zwillingsbruder involviert war. Notheis informierte seinen französischen Kollegen René Proglio knapp zwei Wochen später über „unseren Tandem-Deal“ und bat ihn, „zu erreichen“, dass dessen Zwillingsbruder bei der EDF keine weitere Bank einschaltet. Denn dann bliebe alles „bei uns“. Und er präzisierte am 28. November 2010: „Warum brauchen die [EDF; die Red.] einen Berater?“ Denn, so Notheis weiter, „dein Bruder hat dem Deal bei 40 Euro [pro Aktie; d. Red] bereits zugestimmt, was mehr als üppig ist, wie wir wissen“. Mehr als üppig?

Am gleichen Tag, knapp eine Woche vor Vertragsunterzeichnung, stand ein anderer Morgan-Stanley-Mann in London vor ganz anderen Herausforderungen. Es ging um einen bankinternen sogenannten Conflict Check, mit dem geklärt werden sollte, ob bei den handelnden Personen womöglich Interessenkollisionen vorliegen. Ein interner Verhaltenskodex sagt ausdrücklich: „Leitende Angestellte und Angestellte des Unternehmens sind gehalten, ihrem jeweiligen Supervisor unverzüglich jedwede Anlage, Aktivität, Beteiligung/Interesse oder Beziehung zu berichten (einschließlich derer, die Familienangehörige betreffen), aufgrund deren das Entstehen eines Interessenkonflikts oder des Anscheins eines Konflikts zu erwarten sein könnte.“

Der Preis stand fest, aber der Conflict Check war noch offen

Der „mehr als üppige“ Verkaufspreis stand am 26. November 2010 fest. Einen Tag danach begann jener Conflict Check. Einem vertraulichen Morgan-Stanley-Papier zufolge hatten manche Teammitglieder wiederum einen Tag danach, am 28. November 2010, diesen Check bestanden („approved“).

Für Mappus-Schulfreund Dirk Notheis und den Zwillingsbruder des EDF-Chefs war das Ergebnis jedoch ausdrücklich noch „ausstehend“ („pending“). Dabei war der bekannt „üppige“ Verkaufspreis schon zwei Tage zuvor in trockenen Tüchern. Wiederholte Anfragen der Kontext:Wochenzeitung, ob der Conflict Check für Notheis und Proglio überhaupt und womöglich noch vor Vertragsunterzeichnung am 6. Dezember 2010 durchgeführt worden war, ließen sowohl Morgan Stanley in Frankfurt als auch in New York unbeantwortet.

Solche Spielchen kennt man im EnBW-Untersuchungsausschuss des Landtags. Im März 2012 fertigte Dirk Notheis kritisch nachfragende Parlamentarier noch kurz und bündig ab: Der Conflict Check sei „durchgeführt worden“. Wenn es seinerzeit im Parlament jemand wagte, den heute so umstrittenen Mappus-Freund auf das „engste Verhältnis“ der Proglio-Brüder anzusprechen, keilte Notheis zurück: „Hier liegt überhaupt nichts auf der Hand.“ Das seien „Unterstellungen, die ich zurückweise“, denn „wir kennen unsere Selbstverpflichtung und haben uns entsprechend verhalten“. Bei jener Notheis-Zeugenaussage im März 2012 lag das vertrauliche und entlarvende Morgan-Stanley-Papier mit dem „ausstehenden“ Conflict Check allerdings noch hinter verschlossenen Türen im Giftschrank der Bank.

Morgan-Stanley-Erklärungen „ganz dünn“

Jetzt dagegen wird Morgan Stanley „immer schmallippiger“, sagt SPD-Obmann Andreas Stock. Vergangene Woche versuchte ein Morgan-Stanley-Zeuge im Untersuchungsausschuss zu erklären, dass jener Conflict Check nur klären sollte, ob hausintern „kollidierende Aufträge“ vorliegen, was nicht der Fall gewesen sei, aber nicht, welche Befangenheiten sich aus verwandtschaftlichen Verhältnissen ergeben. Auch dazu gibt es noch Aufklärungsbedarf. Immerhin hatte Notheis das Geschäft als „Tandem-Deal“ bezeichnet.

Es ist, sagt SPD-Obmann Andreas Stock „ganz dünn“. Und auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart dürfte bei ihren Untreue-Ermittlungen gegen Mappus und Notheis einen intensiveren Blick auf die internen Regeln der Beraterbank werfen. Seit dem Rechnungshofgutachten und der kritischen Beurteilung der Morgan-Stanley-Rolle (Rechnungshof-Zusammenfassung) über die EnBW-Geheimoperation Olympia hat bei dieser Staatsanwaltschaft die Zuständigkeit gewechselt. Nicht mehr der in der Vergangenheit wegen vermuteter CDU-Nähe heftig kritisierte Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler kümmert sich um den Fall, sondern der als deutlich härter eingeschätzte Hans Richter von der Abteilung Wirtschaftskriminalität, der sich schon kritisch mit den vermuteten Machenschaften der LBBW und denen von Porsche beschäftigt.

Zum Jagen tragen?

Unter der Zuständigkeit von Bernhard Häußler war ein erstes Untreueverfahren gegen Mappus und den früheren Finanzminister Willi Stächele im Februar 2012 eingestellt worden. Damals erklärte die Behörde: Es „fehlen auch in Bezug auf die subjektive Tatseite ernst zu nehmende Anhaltspunkte dafür, Stefan Mappus oder Willi Stächele hätten die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines […] Vermögensverlustes des Landes Baden-Württemberg zumindest billigend in Kauf genommen“. Es schien, als ob man sie zum Jagen tragen müsste.

Fünf Monate später ordnete dieselbe Behörde Hausdurchsuchungen bei Mappus, Notheis und Morgan Stanley an und ermittelt wieder wegen Untreue. Der Rechnungshof hat zuvor den Staatsanwälten ihre Ermittlungsarbeit abgenommen und in einem Gutachten dem Exministerpräsidenten, seinem Bankberater und den dubiosen Verflechtungen ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Und dieses Strafverfahren gegen ihren früheren Ministerpräsidenten (Das alte Krokodil) stürzt die Landes-CDU jetzt in die tiefste Vertrauenskrise ihrer Existenz mit unabsehbaren Konsequenzen. Gleichzeitig gibt es neue Munition für eine Schadenersatzklage des Landes gegen Morgan Stanley. Gutachter der grün-roten Landesregierung kamen unlängst in einer Expertise zu dem Schluss, das Land habe wegen der ungenügenden Vorbereitung des Milliardendeals (Operation Olympia) vermutlich mindestens 840 Millionen Euro zu viel bezahlt.

PS: Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass Dirk Notheis nach dem Skandal nicht nur eine Auszeit als Deutschlandchef von Morgan Stanley nimmt, sondern seinen Posten aufgegeben hat. Er sei „nicht länger Mitglied des Vorstandes“, bestätigte jetzt eine Morgan-Stanley-Sprecherin entsprechende Medienberichte.