: „Ich bin kein leiser Typ“
HÖREN Die Wienerin Helene Jarmer hört nichts, seit sie zwei Jahre alt ist. In der Schule musste sie um Bildung kämpfen, aber sie hat sich durchgesetzt. Seit Juli sitzt sie für die Grünen in Österreichs Parlament und führt den Abgeordneten vor, wie reich die Sprache der Gehörlosen sein kann
■ Weg: Helene Jarmer wurde 1971 als hörendes Kind gehörloser Eltern in Wien geboren. Zweijährig ertaubte sie bei einem Autounfall. Nach der Schule wurde sie Lehrerin für gehörlose Kinder und unterrichtete elf Jahre. Später studierte sie zudem Pädagogik. Seit 2004 lehrt sie an der Universität Wien.
■ Politik: Als Gehörlose kämpfte sie dafür, dass sie an Gehörlosenschulen unterrichten darf. Auch für bilinguales Lernen gehörloser Kinder streitet sie schon lange. Seit 2001 ist sie Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbunds. Im Juli 2009 rückte sie für die Grünen ins Parlament in Wien nach.
INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB
taz: Frau Jarmer, Sie sind seit Kurzem Abgeordnete im österreichischen Parlament. Kaum ist die erste gehörlose Politikerin da, ist alles anders für Gehörlose, nicht wahr?
Helene Jarmer: Wer meint, dass alles ganz anders ist, Sie oder ich?
Sind die Forderungen der Gehörlosen durch Ihre Präsenz im Parlamente nicht vorangekommen?
Welche Forderungen?
Vorher blieb es bei der Forderung, dass Debatten im Parlament in die Gebärdensprache übersetzt werden. Jetzt geht es, und Gehörlose können die Debatten mitverfolgen.
Die Sitzung im Parlament, auf der ich eingeführt wurde, wurde mit Gebärdendolmetscherin im Fernsehen übertragen. Das ist ein positiver Schritt. Bisher war das nicht so. Schön ist zudem, dass die Presse seit meinem Auftritt öfter das Wort gehörlos verwendet statt taubstumm.
Was ist falsch an „taubstumm“?
Wir sind nicht stumm. Wir sind eine sprachliche Minderheit. Die Gebärdensprache ist in Österreich seit 2005 anerkannt. In Deutschland seit 2002. Wir Gehörlose kommunizieren in einer optisch übertragenen Sprache und nicht in einer akustisch übertragenen. Das ist der Unterschied.
Plötzlich ist eine gehörlose Politikerin da. Sie zeigen, was Gehörlosigkeit in der Gesellschaft bedeutet, und zwar vor Abgeordneten, die sich schon viel früher hätten damit beschäftigen können. Hat Politik doch vor allem etwas mit Repräsentanz zu tun?
Bisher ist es so, dass die Gehörlosen alles tun müssen, um von den Hörenden verstanden zu werden. Jetzt ist die Situation umgedreht: Jetzt müssen auch die Kollegen im Parlament daran arbeiten, dass Sie mit mir in Kommunikation treten können. Mir ist aufgefallen, dass die Politiker plötzlich langsam mit mir sprechen. Mich anschauen dabei. Nur dann habe ich die Chance, von den Lippen abzulesen. Ist das nun Zufall, habe ich mich gefragt, oder sind sie plötzlich sensibilisiert für das Thema.
Wie viel des Gesagten können Gehörlose durch Lippenablesen verstehen?
Etwa ein Drittel, der Rest wird aus dem Kontext erraten. Aber da gibt es so viele Fehlerquellen. Nur ein Beispiel: Die Lippenbewegungen für „Butter“ und „Mutter“ sind fast gleich.
Sie sind Lehrerin. Ihre erste Rede im Parlament haben Sie für eine Lektion in Gebärdensprache genutzt. In Österreich wissen jetzt viele Leute, was die Gebärde für „Parlament“ ist. Oder für „Abgeordneter“. Oder für „Schüssel“. Was haben Sie durch diese Rede gewonnen?
Für mich war das Sensibilisierungsarbeit. Viele Menschen wissen wirklich nicht, was Gebärdensprache ist. Sie nehmen sie bestenfalls als was Geheimnisvolles, was Verzaubertes wahr. Sie haben keine Ahnung, dass es länderspezifische Besonderheiten in der Gebärdensprache gibt. Ich wollte in meiner ersten Rede einfach zeigen, dass man alles gebärden kann, und ich wollte den Reichtum meiner Sprache darstellen.
In Österreich wissen die Leute jetzt, wie man „Schüssel“ gebärdet: zwei Hände, die die beiden Seiten einer nach oben offenen Halbkugel entlangfahren. Als Sie es vormachten, sah das kess aus. Weil der österreichische Exbundeskanzler Schüssel heißt, wurde gelacht. War diese charmante, fast respektlose Nuance bewusst gesetzt?
Ich habe mir natürlich vorher überlegt, was ich mache. Aber es ist auch meine spontane Art. Ich bin ein ironischer Typ. Eigentlich wollte ich mit dem Schüssel-Beispiel etwas erklären. Da ist einmal der Gegenstand: die Schüssel. Und da ist der Name des Exbundeskanzlers: Schüssel. In der Gebärdensprache hat jeder Mensch einen Gebärdennamen. Die Namensgebärde für den Exbundeskanzler ist aber nicht die Gebärde für Schüssel, sondern für die Fliege am Hals. Schüssels Vorliebe für Fliegen statt Krawatten wurde zum Anlass genommen für seine Namensgebärde. Das macht man in der Gehörlosenwelt so. Man guckt sich die Leute an, was sie charakterisiert, welche Ticks sie haben. Mit meiner Rede wollte ich über die Kultur der Gehörlosen aufklären.
Gehörlosen wird von Hörenden oft nachgesagt, dass sie sehr direkt seien. Dafür könnte die Schüssel stehen.
Stimmt.
Hängt diese Direktheit mit der Gebärdensprache zusammen?
Ich bin immer direkt. Die meisten anderen Gehörlosen auch. Es hat aber auch mit der Situation der Gehörlosen in der hörenden Welt zu tun. Wir erleben sie als eine, die uns immer wieder mit Ausflüchten abspeist. Ich reagiere darauf eben mit Direktheit. Wie schaut’s aus? Was ist los?
Meinen Sie, die Gehörlosen sind in der Kommunikation mit Hörenden direkt, weil die Hörenden mit den Gehörlosen ins Indirekte ausweichen?
Ich bin vom Wesen her direkt. Aber es hat auch mit unserer Gehörlosenkultur zu tun. Eine Gehörlose sagt zu einer anderen Gehörlosen, die zugenommen hat: Du bist dick geworden. Zu einer Hörenden würde man eher sagen: Dir schmeckt das Essen gut.
Ist Direktheit in der Gebärdenkultur ein Ersatz für Lautstärke?
Man kann das so sehen.
In der Politik wird sehr viel mit den Nuancen der Verstärkung und der indirekten Kommunikation gearbeitet.
Natürlich, aber ich muss jetzt erst mal sehen, wie die politische Arbeit ist. Mit Ausflüchten auf jeden Fall will ich nicht arbeiten.
Was ist mit den Flurgesprächen, der Hinterzimmerdiplomatie? Fürchten Sie, davon ausgeschlossen zu werden?
Ich erwarte, dass meine Kollegen mich nicht ausgrenzen, sondern einbeziehen. Eine ausländische Politikerin, die eine Dolmetscherin braucht, würde man auch nicht außen vor lassen.
Sie brauchen ja immer eine fremde Stimme. Wie werden Sie im Parlament denn laut?
Wenn ich heftig gebärde, dann wird die Dolmetscherin das merken und auch aufgeregter übersetzen. Wenn ich wütend gebärde, soll die Dolmetscherin auch lauter werden. Das wird vorher abgeklärt. Die Dolmetscherinnen geben mir ihre Stimme. Die Verantwortung für das Gesagte trage aber ausschließlich ich.
Ideal jedoch wäre, wenn die Hörenden auch sehen und verstehen, dass Sie wütend sind.
Die merken das schon, da mache ich mir keine Sorgen. Ich bin kein leiser Typ.
Als Lehrerin mussten Sie schweigen, sagten Sie einmal, deshalb sind Sie Politikerin geworden.
Als Lehrerin bestand ein Interessenkonflikt. Ich durfte nicht über die Bildungssituation von Gehörlosen sprechen. Ich habe einmal ein Kunstfestival organisiert. Auf der dortigen Pressekonferenz wurde ich gefragt, warum die Bildung in Österreich so schlecht ist. Ich antwortete, Österreich sei, was die Bildung angeht, eben ein Entwicklungsland. Da habe ich Probleme mit meiner Schule bekommen. Es gab eine Sonderkonferenz und man hat mir nahegelegt, in Zukunft zu schweigen. Ich will aber nicht schweigen. Als Politikerin kann ich sagen, was ich denke.
An der Gehörlosenschule haben Sie durchgesetzt, dass es bilingualen Unterricht gibt, dass die Schüler und Schülerinnen also nicht nur per Lippenablesen, sondern auch in der Gebärdensprache unterrichtet werden.
Ich hab das nicht alleine erreicht. Zusammen mit einer Kollegin und dem Direktor der Schule haben wir durchgesetzt, dass ich als Gehörlose an der Gehörlosenschule unterrichten darf. Stellen Sie sich vor, Lehrer und Lehrerinnen an Gehörlosenschulen müssen die Gebärdensprache nicht können. Das ist so, als wären Sie in der Schule von Lehrern unterrichtet worden, die eine x-beliebige Sprache sprechen, nur nicht Ihre. Früher gab es gebärdensprachkompetente Lehrerinnen an Gehörlosenschulen. In Deutschland gab es sie auf jeden Fall.
Sie waren wirklich die erste, gezielt eingesetzte gehörlose Lehrerin an einer österreichischen Gehörlosenschule?
Ich und eine Kollegin. Als wir das durchsetzten, da hing so viel dran. Auf der pädagogischen Akademie mussten der Umgang mit uns Gehörlosen, das Prüfungssystem und all das geändert werden. Das war schwierig. Dann hat es damals, als ich an der Gehörlosenschule angestellt wurde, auch Briefe an den Direktor gegeben, in denen angezweifelt wurde, dass ich den Unterricht alleine schaffe. Ich hab das als Wahnsinn empfunden, dass Lehrer oder Lehrerinnen, die die Gebärdensprache nicht können, qualifiziert sind, gehörlose Kinder zu unterrichten, ich aber nicht. Wie sollen die ohne Gebärdensprachkompetenz jemals Konflikte zwischen den Kindern lösen? Wie soll ihnen Lesen und Schreiben beigebracht werden, wenn man mit ihnen in der originären Sprache nicht kommunizieren kann?
Das klingt so, als würde Lesen und Schreiben an den Gehörlosenschulen nicht unterrichtet.
Doch, aber mit welchem Erfolg? Zwei Drittel der Gehörlosen gelten nahezu als Analphabeten. In Zeiten, wo Internet und SMS so eine Kommunikationshilfe sind für Gehörlose, ist das doch Wahnsinn, dass viele nicht lesen und schreiben können. Als ich an die Schule kam, waren die Kinder so überrascht: Du bist gehörlos und kannst Lehrerin werden, fragten sie. Die Kinder haben mich nie Frau Jarmer genannt, sondern lieber: Frau gehörlose Lehrerin.
Haben Ihnen diese persönlichen Erfahrungen die Entschiedenheit gegeben, auf die politische Ebene zu wechseln?
Ich bin nicht der Typ, der resigniert, der sagt, ich muss mich mit meinem Schicksal abfinden. Wenn es mir nicht passt, dann versuche ich, andere Wege zu finden, ans Ziel zu kommen. Wenn andere vorgegebene Bedingungen akzeptieren, obwohl diese besser sein könnten, dann ist das deren Entscheidung. Für mich gilt das nicht. Ich habe in meiner Zeit als Lehrerin gesehen, dass Kinder, die in der Gebärdensprache unterrichtet wurden, gute Lese- und Schreibkompetenz entwickelten. Es sind nicht die einzelnen Lehrer das Problem, sondern das Schulsystem. Deshalb ist die Politik der richtige Platz, um da etwas zu ändern.
■ Gehörlosigkeit: Am 27. September ist der Tag der Gehörlosen – ausgerufen vom Weltverband der Gehörlosen. In Deutschland leben rund 80.000 Gehörlose, in Österreich 10.000. Nur sieben gehörlose PolitikerInnen gibt es: zwei in Afrika, einer in Nepal, vier in Europa. Dazu gehört neuerdings die Österreicherin Helene Jarmer.
■ Erste Rede: Am 10. Juli hielt Helene Jarmer ihre erste Rede im österreichischen Parlament. Während sie sich der Gebärdensprache bediente, lieh ihr eine Dolmetscherin die Stimme. Obwohl sie keinen Ton sagte, schaffte sie es, das Plenum zu begeistern. Das Video der Rede unter taz.de/jarmer.
Wie haben Sie persönlich Ihre Schulbildung erlebt?
Ich war mal ich einem Gehörlosenkindergarten. Ich kann mich gut erinnern, dass sich die Kindergärtnerin beschwerte: Ich könne mich nicht an die Gemeinschaft anpassen. Es stimmt. Denn die Kindergärtnerin hat uns nie Märchen erzählt. Sie hat immer nur Bilder gezeigt und die gleichen Sätze dazu gesagt: Das ist ein Tisch. Das ist ein Hund. Das ist ein Fenster. Das ist ein Ballon. Dass der Hund mit dem Ballon durch das Fenster davonfliegen kann – so was kam nicht vor. Ich wollte mehr. Ich habe mich furchtbar gelangweilt. Meine Eltern haben mich Gott sei Dank sehr gut gefördert.
Wie?
Meine Eltern haben mir alles Erdenkliche angedeihen lassen. Privatunterricht, Frühförderung und und und, alles, was es gibt. Ohne meine Eltern wäre ich sicher nicht im Parlament. Dann wäre ich Schneiderin oder Fabrikarbeiterin oder so etwas.
Wie haben sich Ihre Eltern dieses Bildungsniveau aneignen können? Ihr Vater ist Bildhauer, Ihre Mutter Designerin – beide sind auch gehörlos.
Die Schulbildung meiner Eltern war viel besser als die Schulbildung, die es jetzt gibt. Meine Eltern haben beide eine Gehörlosenschule besucht. Einige Lehrerinnen damals konnten noch Gebärdensprache. Mein Vater hat immer gesagt: Das waren Lehrerinnen mit Herz. Die haben sich viel mit den Kindern beschäftigt. Heute ist das alles nur nach Plan. Nach Effizienz. Aber es liegt auch am Bildungsinhalt. Mein Vater hat festgestellt, dass das Bildungsniveau an den Gehörlosenschulen niedriger ist als an der Regelschule. Deshalb haben meine Eltern mich auch auf der Schwerhörigenschule angemeldet. Dort wurde man nach dem Regellehrplan unterrichtet. Wenn sie hinter dir stehen, wollen sie rauskriegen, ob du etwas verstehst, sagte mein Vater. Ich durfte die anderen nicht aus den Augen lassen, weil ich ja nur von den Lippen ablesen konnte.
Sind Sie im Unterricht dann mitgekommen?
Wenn man nicht versteht, was gesagt wird, langweilt man sich. Ich habe mir halt die Zeit vertrieben mit Zettelchenschreiben, Kritzeln, Lesen. Dann war es zu Hause natürlich umso mühsamer. Ich musste alles nachlernen.
Machen es all diese Erfahrungen zwingend, dass die Bildung für Gehörlose verbessert wird?
Es muss das Recht auf Zweisprachigkeit in der Gehörlosenbildung geben. Erste Sprache Gebärdensprache, zweite Sprache Lautsprache. Die deutsche Laut- und Schriftsprache ist für Gehörlose doch praktisch eine Fremdsprache und muss erst mühsam erlernt werden. Außerdem muss auch das Fach Gebärdensprache mit seiner Grammatik, Poesie, Kultur unterrichtet werden. Das ist ja bisher nicht der Fall. Auch Musik soll unterrichtet werden. Musik geht an den Gehörlosen nicht vorbei. Man muss das Rhythmusgefühl der gehörlosen Kinder schulen. Ich hatte Ballettunterricht. Der Englischunterricht wird auch oft gestrichen an Gehörlosenschulen. Warum? Integration ist keine Assimilation. Deshalb verwende ich den Begriff Doppelintegration. Gehörlose Kinder müssen mit hörenden Kindern zusammen unterrichtet werden. Beide sollen das Recht auf zweisprachigen Unterricht haben.
Und das wollen Sie als Politikerin erreichen?
Ich werde mit dem Bildungssystem beginnen und von da aus weitermachen. Nicht nur Gehörlosenbildung, auch Barrierefreiheit, Sprachrechte, Kulturrechte, Individualförderungen, Grundsicherung sind Themen. Das Behindertengleichstellungsgesetz, wie es in Österreich genannt wird, das ist meiner Meinung nach gar kein richtiges Gesetz. Wenn man mit den 10.000 Gehörlosen in Österreich so umgeht, dann wirft das ein Bild auf den Umgang mit Minderheiten generell.
EU-Studien belegen, dass Behinderte überdurchschnittlich von Armut betroffen sind, überdurchschnittlich oft Singles sind und dass sie in den meisten Ländern schlechte Bildungschancen haben. In den EU-weiten Vergleichen wird die Situation in Österreich aber als besser dargestellt als die in Deutschland.
Für Gehörlose gilt das auf gar keinen Fall. In einigen deutschen Städten wie Hamburg gibt es bilinguale Klassen. Natürlich ist Bildung in Deutschland Ländersache, deshalb ist das von Bundesland zu Bundesland verschieden. Auch die Lehrerausbildung ist anspruchsvoller als in Österreich. Logopädie zum Beispiel, das ist ein Studienfach in Deutschland. Bei uns nicht.
Bis Sie zwei Jahre alt waren, konnten Sie hören. Durch einen Autounfall haben Sie das Gehör verloren. Haben Sie Erinnerungen ans Hören?
Meine Mutter hatte eine Spieluhr. Ich kenne noch dieses zarte, beruhigende Gefühl, das ich mit dieser Spieluhr verbinde. Außerdem hat sich meine Wahrnehmung von Kirchen verändert. Ich habe die mit Musik gefüllt gefühlt. Und dann waren sie plötzlich ohne Musik. Seither finde ich Kirchen fad.
Wie stellen Sie sich die hörende Welt heute eigentlich vor?
Laut.
In Deutschland sind gerade Wahlen. Mit der Forderung nach besserer Integration Behinderter tritt bisher keine Partei auf. Heißt das, Wahlen kann man damit nicht gewinnen?
Solange man so eine Forderung gar nicht formuliert, weiß man nicht, ob man damit nicht gewinnen kann.
Können Sie sich auch vorstellen, dass eine Gehörlose einmal Bundeskanzlerin sein könnte?
Fragen Sie mich das in ein oder zwei Jahren wieder.
In Wien gibt es eine Taubstummengasse. Wie finden Sie das?
Das hat historische Gründe. In dieser Straße stand die erste Gehörlosenschule. Im historischen Kontext ist das Wort „taubstumm“ kein Affront. Das Verständnis der Menschen verändert sich. Als man die erste Gehörlosenschule gründete, hat man verstanden, dass Gehörlose nicht blöd sind, weil sie nicht hören können. Jetzt muss man lernen, dass wir nicht stumm sind, sondern eine Sprache haben.
■ Waltraud Schwab ist sonntaz-Reporterin. Zwei Jahre lang hat sie versucht, die Gebärdensprache zu lernen. Das Gespräch musste sie dennoch mit Dolmetscherin führen