: Wenige Wähler an der Weser
WAHL Mit einer lausigen Wahlbeteiligung von 61,4 Prozent bescheren die BremerInnen ihren Kandidaten gemischte Freuden – am reichsten fühlen sich die Liberalen beschenkt
Von J. Zier, B. Schirrmeister, A. Gras und K. Wolschner
Laut Zwischenergebnis des Landeswahlleiters von 19.49 Uhr kommt die SPD im Land Bremen auf 32 Prozent. Die CDU erhielt demnach 24,1 Prozent, die Linkspartei 15,1, die Grünen 12,4 und die FDP 10,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit 61,4 Prozent noch dramatisch unter den 74,6 Prozent von 2005, die bereits ein historischen Tiefstand dargestellt hatten.
Bei den Erststimmen führte Carsten Sieling (SPD) mit 35,7 Prozent, gefolgt von Rita-Maria Mohr-Lüllmann (CDU, 28,1 Prozent) und Marieluise Beck von den Grünen mit 15,1 Prozent. Klaus-Rainer Rupp von der Linkspartei erhielt 12,2 Prozent, Torsten Staffeldt (FDP) 7,1 Prozent. In Bremerhaven lag Uwe Beckmeyer (SPD) mit 38,6 Prozent deutlich vo Kultustaatsminister Bernd Neumann von der CDU, der 27,2 Prozent der Erststimmen erhielt.
Erleichterung bei der CDU
Bei der CDU regiert zunächst vor allem die Schadenfreude. Eher pflichtgemäß fällt er aus, der Beifall, als um 18 Uhr auf der Wahlparty im Energiecafé am Wall die erste Hochrechnung für die eigene Partei eintrifft. Lauter Jubel brandet auf, als das Ergebnis für SPD aufgerufen wird. Und er bleibt anhaltend, als die FDP-Hochrechnung kommt.
„Erleichterung“ ist die erste Reaktion der Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann, ebenso die des CDU-Landesparteichefs Thomas Röwekamp – schon angesichts der letzten Prognosen vor der Wahl. Natürlich, sagen beide, irgendwie sei man auch enttäuscht, die CDU hat schließlich Stimmenanteile verloren und eines der schlechtesten CDU-Ergebnisse der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Röwekamp macht dafür – mit Verweis auf Bremen – „die Umklammerung der großen Koalition verantwortlich“, Mohr-Lüllmann spricht angesichts der Ergebnisses der Linkspartei von einem „Linksruck“. Der Parteichef verspricht nicht nur einen „klaren Kurs“ der neuen schwarz-gelben Bundesregierung, sondern auch „Wachstum und Beschäftigung“ für Bremen. Für die SPD sieht er ein Phase der „Rückbesinnung“ auf ihre klassischen Stärken gekommen.
SPD: „Das tut weh“
Der Präsident der Bürgerschaft in Bremen, der SPD-Politiker Christian Weber, machte gestern Abend keinen Hehl aus seiner Laune: „Das tut schon maßlos weh“, meinte er nach den ersten Hochrechnungen. Die Partei habe es sich auch selbst zuzuschreiben. Sie habe zum Beispiel an dem Vorgehen der Sozialdemokraten in Hessen Schaden genommen. Ein „Desaster“ sei die niedrige Wahlbeteiligung: „Das ist bitter für die parlamentarische Demokratie.“
Im Bürgerhaus Weserterrassen mussten die Genossen sich anhören, wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit von „Fehlern“ und „Schwächen“ sprach. Er war einer von den „Jüngeren“, denen die Partei die Rolle des Spitzenkandidaten nicht antragen wollte – noch nicht. Kommt für den Politikwechsel auch ein Generationswechsel? Der 40-jährige Carsten Sieling blieb gestern gelassen. – „wir rechnen für Bremen gewöhnlich plus 10“, sagt er. Das würde für seinen Wahlkreis Bremen-Stadt immerhin deutliche Verluste bedeuten, das Direktmandat wäre aber noch nicht in Gefahr.
„Keiner hätte ein besseres Ergebnis eingefahren“, sagt er Steinmeier zum Trost. Aber: „Die Korrekturen hätten früher beginnen müssen.“
FDP: „Handschrift“ statt TV
Ein „ganz hervorragendes Ergebnis“ kündigt der FDP-Landesvorsitzende Oliver Möllenstädt bereits eine Viertelstunde vor der ersten Hochrechnung an. Der Parteinachwuchs ist derweil noch dabei, das FDP-Haus in der Sandstraße für die Wahlparty aufzuhübschen. Hastig kleben die Helferlein Plakate ihres Spitzenkandidaten Torsten Staffeldt und ihres Landesvorsitzenden an die Wände. Möllenstädt wird ihren Einsatz später loben.
Je näher die 18-Uhr-Marke rückt, desto unruhiger werden die Liberalen: Der Fernseher streikt, immer wieder fällt der Empfang aus. Hektisch wird die Antenne neu ausgerichtet. 14,5 Prozent – als die erste Hochrechnung dann offiziell im ZDF verkündet wird, ist der Jubel groß. Größer als noch kurz zuvor – da war das mäßige Abschneiden der SPD mit lautem Beifall gefeiert worden. „Eine klare liberale Handschrift“, fordert Möllenstädt für ein zukünftiges schwarz-gelbes Regierungsprogramm. Dass der Bremer Spitzenkandidat Staffeldt in den Bundestag ziehen wird, da ist er sich schon nach der ersten Prognose sicher: „Wir haben auch in Bremen an Stärke gewonnen und werden erstmals seit 1994 wieder einen Bremer Liberalen nach Berlin schicken“.
Warten aufs „Links“kind
Die Linkspartei feiert im März und, noch passender, großteils sogar vorm März. Das ist eine Einraumkneipe im Viertel, mit Rauchlizenz, und der erwünschte Eindruck stellt sich ein: Es wirkt supervoll. Dass der Pseudoexperte im Fernseher sagt, dass es so ausgehen könne, aber auch so, man werde schon noch sehen,trifft die Stimmung exakt.
Die ähnelt Weihnachten oder Sylvester: Die Erwartungen sind groß, die Spannung teilt sich mit, Rauch und Schweiß, und jetzt, tatsächlich, wird rückwärts gezählt, chorisch, drei, zwei – ! Zum Verlesen der Hochrechnung brauchen sie auf Phoenix zwei Minuten, ja, es gibt kurze Pfiffe zum FDP-Ergebnis, aber dann: Riesenjubel, hollahe, zwölfkommaschlagmichtot, Prost!, Klaus Rainer Rupp hatte bei 15 Prozent Freibier versprochen, ganz schön gewagt. Vielleicht fährt Agnes Alpers jetzt auf dem Listenticket nach Berlin? „Wir müssen“, sagt sie, „warten. Das wird noch ein langer Abend.“
Grüne: Gedimmte Freude
Das Grüne Milieu präferiert heutzutage Lounges mit gedimmten Licht. Man fährt mit dem Rad vor, das ist und bleibt Kennzeichen, ist ja auch besser, wenn’s eine rauschende Party werden soll. Wird’s nicht: Die Grünen hatten drittstärkste Kraft werden wollen, das hat nicht geklappt, 13 Prozent war als Marge gehandelt worden, das hat nicht geklappt, und ausgerechnet die FDP… „Verstehst du das?“, fragt Karoline Linnert, Bürgermeisterin, „denen ist doch ihr ganzes Weltbild um die Ohren geflogen.“
Was die Wahl dieser „Koalition des letzten Jahrhunderts“ für die Konktaktpflege mit Berlin bedeuten wird, in Sachen Sanierungskurs, da macht sie sich schon Gedanken drum. „Das ist ja nicht furchtbar wichtig“, sagt sie, „aber ein bisschen wichtig ist es eben doch.“ Marieluise Beck erläutert derweil, dass sie weiterhin „die Frau für die Menschenrechte“ sein werde. Ob sie denn überhaupt ins Parlament kommt, wenn die anderen kleinen in Bremen auch so gut… „Ich gehe fest davon aus“, sagt sie, ganz Staatsfrau.