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Archiv-Artikel

kein mensch ist illegalaußer im Bundestag

URTEIL Das Verfassungsgericht kippt das Wahlrecht. Die vielen Überhangmandate im Bundestag verstoßen gegen das Grundgesetz

KARLSRUHE dpa | Das erst vor wenigen Monaten reformierte Bundestagswahlrecht ist verfassungswidrig und muss geändert werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am Mittwoch zentrale Bestimmungen für die Verteilung der Abgeordnetensitze mit sofortiger Wirkung für unwirksam. Spätestens bis zur nächsten Bundestagswahl 2013 muss der Gesetzgeber ein neues Wahlrecht schaffen.

Die Verteilung der Abgeordnetensitze „verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

Die Richter beanstandeten unter anderem, dass das Wahlrecht die Möglichkeit zahlreicher Überhangmandate schaffe. Solche Zusatzmandate entstehen dann, wenn die Kandidaten einer Partei mehr Wahlkreise gewinnen, als dem Stimmenanteil der Partei bei den Zweitstimmen entspricht. Diese Mandate kommen tendenziell den großen Parteien zugute – bei der Bundestagswahl 2009 gingen alle 24 Überhangmandate an die Union.

Die Richter beanstandeten zudem den Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts. Demnach kann es dazu kommen, dass die Abgabe einer Stimme der jeweiligen Partei bei der Berechnung der Abgeordnetenzahl im Ergebnis schadet. Grund hierfür ist die Bildung von Sitzkontingenten in den einzelnen Bundesländern.

„Solche widersinnigen Wirkungszusammenhänge zwischen Stimmabgabe und Stimmerfolg beeinträchtigen nicht nur die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien, sondern verstoßen auch gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, da es für den Wähler nicht mehr erkennbar ist, wie sich seine Stimmabgabe auf den Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber auswirken kann“, kritisierte das Gericht.

Bereits 2008 hatten die Karlsruher Richter das frühere Wahlrecht für teilweise verfassungswidrig erklärt und eine Neuregelung verlangt. Da sich Regierung und Opposition nicht auf ein neues Wahlrecht einigen konnten, hatten Union und FDP die Neufassung im Alleingang durchgesetzt. Dagegen hatten SPD, Grüne und mehr als 3.000 Bürger in Karlsruhe geklagt.

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