: Träume von Klarheit
Der Mensch gleicht dem Frosch und braucht Wasser. Das wusste schon Ernst von Pfuel, Pionierdes Badens in der Spree. Das Projekt „Spree 2011“ will den Berliner zurück ins Wasser treiben
VON BARBARA KERNECK
Wie abgestumpfte Zootiere in Käfigen pendeln Berliner Schwimmer und Schwimmerinnen in den Bädern der Bezirke immer wieder von rechts nach links und zurück. Anders als flottes Gehen oder gar Radfahren ist das Schwimmen noch kein integrierbarer Bestandteil unserer alltäglichen Fortbewegung. Mit dem Rad kann man zur Arbeit fahren, den abendlichen Weg zu Freunden zu Fuß zurücklegen. Aber angesichts des Drecks in der Spree käme auch am heißesten Sommertag niemandem der Gedanke, eine Weile im Fluss zu schwimmen, um dann erfrischt, gut gelaunt und klar im Kopf weiterzuarbeiten.
Allein der Diplomingenieur für Landschaftsarchitektur, Ralf Steeg, mochte sich nicht mit dieser Einschränkung abfinden. Seit 1985 ließ ihn die Sehnsucht nicht los, der Spree Badewasserqualität zu verschaffen. Die Quelle seiner fixen Idee entsprang damals im Fluss Aare auf der Höhe der schweizerischen Bundeshauptstadt Bern. Dort lernte er das Glück des morgendlichen Bades im Fluss kennen. Steeg schrieb gemeinsam mit seiner Kommilitonin Cathrin Berger eine Diplomarbeit im Fach Landschaftsarchitektur und Umweltplanung über die Geschichte des Badens in der Spree. Dann machten sie sich auch auf die Suche nach einer Methode zur Spreereinigung.
Herausgekommen ist dabei das Projekt Spree 2011. Mit der Firma ecom. AG aus Köln stellte Steeg es letzte Woche vor (siehe taz 15. 7.). Inzwischen verschmutzen längst nicht mehr industrielle Abwässer die Spree. Etwa 30-mal im Jahr, bei starken Niederschlägen, schießt so viel Regen zu den Abwässern in die Kanalisation, dass die Fäkalien überlaufen in den Fluss. Der bestechend einfache Lösungsvorschlag des Landschaftsplaners sieht vor, an die Auslaufstellen in den Fluss Tanks in Form von großen, flachen Pontons anzuschließen. Dort könnte man die Abwässer zwischenspeichern, bis sie zurückgepumpt und auf den Weg zu den allgemeinen Klärwerken geschickt werden können. Die Methode würde teure Filter ersparen und mit den Pontons Flächen zur Vermietung an Campingplätze, Freiluftkinos oder Restaurant schaffen. Die Einnahmen wären nutzbar, um unschädlich zu machen, was unter den Pontons wabert.
Die Idee liegt im Trend. Europaweit entstehen Wasserstädte, werden Strände zurückgewonnen und Badeschiffe verankert. Auch in Manhattan wollte die Künstlerin Nathalie Rinne um die Jahrtausendwende dem Bedürfnis Rechnung tragen, weit zu schwimmen, ohne wenden zu müssen und schlug vor, eine stillgelegte Hochbahntrasse in eine 2,5 km lange Schwimmbahn umzuwandeln. Damit die New Yorker, wie sie sagte, „vorankommen, in der horizontalsten Form der Fortbewegung, in dieser Stadt, in der die Vertikalität zelebriert wird“. Allerdings blieb ihr Projekt auf dem Papier.
Bevor der Magistrat 1925 alle Berliner Flussbäder aus hygienischen Gründen schließen musste, gab es hier 15 städtische Flussbäder. Das Flussbaden hatte bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug durch die alte Welt angetreten, allerdings begrenzt durch die hölzernen Zäune der Badeanstalten, die den Moralvorstellungen der Zeit entsprechend von außen nicht einsehbar waren. Von den Berlinern und Berlinerinnen konnten damals nur die wenigsten schwimmen.
Eine der ersten Badeanstalten errichtete der Oberst und Philanthrop General Ernst von Pfuel 1817 zwecks körperlicher Ertüchtigung der männlichen Jugend an der Oberbaumbrücke. In 50 Jahren erlernten hier fast 70.000 Jungen Brustschwimmen. Pfuel befürwortete gerade diese Schwimmtechnik, weil er meinte, dass der Mensch in seinen „schwimmrelevanten Körperteilen“ dem Frosch ähnele.
Die Reinigung der Spree brächte nicht nur mehr Gelegenheit, die Froschähnlichkeit des Menschen auszuleben, sondern auch ein neues Verhältnis der Bürger zum Wasser. Dass Abertausende im Sommer täglich in die Aare schwimmen gehen, präge den Rhythmus des Lebens in Bern, berichtete die Berner Stadtdirektorin für Tiefbau, Regula Rytz, bei der Präsentation von „Spree 2011“. „Ein richtig schöner Mittag“, erzählte sie, „besteht bei uns darin, dass man so früh wie möglich seinen Arbeitsplatz verlässt, unterwegs ein Picknick kauft, sich im Freiluftkino Marzili umzieht und dann mit Heerscharen anderer Aare-Schwimmer ca. anderthalb Kilometer flussaufwärts pilgert, um sich dann in der Aare zum Ausgangspunkt zurücktreiben zu lassen.“
Eines steht fest: Der legale Kopfsprung in die Spree würde in der Berliner Innenstadt in den Sommern zu längeren Mittagspausen führen. Ralf Steeg wünscht sich diesen Sprung für das Jahr 2011. Er träumt davon, dass dann eine Mutter mit drei Kindern nicht mehr fünf Plastiktüten packen und stundenlang mit der S-Bahn fahren muss, wenn sie mit ihnen an weite Wasserflächen will. Und wir alle könnten uns dann von neuen Produkten und Dienstleistungen überraschen lassen: Vielleicht von wasserfesten Umschnalltaschen, von schwimmenden Tabletts, um sich von den Ponton-Restaurants Mahlzeiten zu holen und von Altberliner Badekostümen, in denen sich Touristen vor Spreehintergrund fotografieren ließen.
Eine Expertise hat schon die Machbarkeit des Projekts „Spree 2011“ bewiesen. Und die Finanzierbarkeit? 170.000 Euro könnten von der Bundesstiftung für Umwelt kommen. Die stellt allerdings die Bedingung, dass die Stadt Berlin weitere 56.000 aufbrächte. Ralf Steegs Traum ist erfüllbar, wir brauchen nur den politischen Willen.
Auch die Aare war nicht immer rein. Wenn die Spree einst ein Badegewässer ist, werden die Berliner Schwimmfans nur noch ein Problem haben: die unüberquerbare Fahrrinne für die Schifffahrt in der Flussmitte.
Die Projektvorstellung „Spree 2011“ ist bis 23. 8. in der Arena zu sehen, Eichenstr. 4, tägl. 14–20 Uhr; Symposium „Bauen und Leben am Wasser“ am 4. 8., 20 Uhr