Die Achse des Rock von Christoph Wagner : Die Gitarre sprudelt wie Minimalmusik
Auf eigene Kosten ließ 1959 ein 20-jahriger Grünschnabel aus Takoma Park, Maryland, 100 Schallplatten pressen, die er an Kunden der Tankstelle verkaufte, wo er arbeitete. Auf der A-Seite war John Fahey selbst zu hören, auf der Rückseite ein gewisser Blind Joe Death, ein alter vergessener Bluesmusiker, wie Fahey behauptete, in Wirklichkeit sein eigenes Pseudonym. Das war nicht bloß ein Bubenstück, um ein paar Bluesexperten an der Nase herumzuführen, sondern auch die Beschwörung der Mythenwelt des alten Südens. Blues, Ragtime, Bluegrass und Gospel bildeten Faheys Repertoire. Doch verband er diese Formen mit klassischer Musik sowie indischen und lateinamerikanischen Einflüssen zu etwas völlig Neuem. Aus dem Solospiel auf der akustischen Stahlsaiten-Gitarre entwickelte Fahey ein eigenes Genre. „American Primitive“ nannte er das.
Die Musik auf „On Air“, 1978 in Bremen aufgenommen, zeigt Fahey in blendender Form. Oft waren seine Konzerte Glücksspiele, doch dieses war ein Volltreffer. Flüssig, eloquent, mit Kraft und Drive präsentiert Fahey seine Stücke. Sein Sinn für Raum und sein Formgespür geben der Musik eine besondere Qualität. Manchmal spielt er seine geisterhaften Linien auf der Slide-Gitarre, dann wieder sprudeln die Töne so dicht wie Minimalmusik. Als der Gitarrist im Februar 2001 kurz vor seinem 62. Geburtstag starb, schrieb Lee Ranaldo von Sonic Youth: „Sein stilistisches Abenteurertum wird uns noch lange inspirieren.“
John Fahey: „On Air“, Tradition & Moderne T&M 034
Die Gitarre verglimmt wie ein Meteor
John Fahey war nicht der einzige Musiker, der in den 60er-Jahren mit der Akustikgitarre in Neuland vorstieß. Sandy Bull experimentierte mit orientalischen, klassischen und psychedelischen Klängen und improvisierte mit Ornette Colemans Drummer Billy Higgins. Robbie Basho besaß ein Faible für östliche Musik, spielte indische Ragas und japanische Koto-Melodien auf der akustischen Stahlsaitengitarre.
Seine Musik traf vor 25 Jahren einen jungen Musiker aus Ostdeutschland mit solcher Wucht, dass er den Namen seines Idols annahm. Steffen Basho-Junghans hat seither ein beachtliches Werk akustischer Gitarrenmusik kreiert, das die Tradition von Fahey und Basho weiterführt – gelegentlich über die folkinspirierte Musik hinaus in neutönerisches Terrain.
Basho-Junghans spielt mit einem großen Ohr, und seine Methode ist die des Mikroskops. Er macht Klänge hörbar, die normalerweise unbemerkt bleiben: das Vibrieren der Metallsaiten, die gegen das Griffbrett schlagen, oder das Schleifgeräusch der Finger, wenn sie über die Saiten huschen. Klangphänomene, die sich daraus ergeben, wie Nachhalleffekte, Obertöne und Flageoletts, dienen ihm als Material. Manchmal beginnt Basho-Junghans mit einem Griffmuster, das einen Schwall von flirrenden Tönen erzeugt, aus denen ab und zu kleine Melodien aufleuchten, die klingen, als ob ein Meteor im Weltall verglimmt.
Steffen Basho-Junghans: „7 Books“, Strange Attractors Audio House SAAH20/21
Die Gitarre wimmert verzückt
Nach einer Auszeit von mehreren Jahren (er litt an Diabetes, chronischer Müdigkeit, Alkoholismus und Depressionen) kehrte John Fahey Mitte der 90er-Jahre auf die Szene zurück. Er schwor der akustischen Musik ab und verwarf sein frühes Werk als „aufgeblasen“. Fahey wechselte zur elektrischen Gitarre und formte nun aus verzerrten Gitarrensounds, Geräuschen, Feedback und Collage-Elementen fast atonale Klanggebilde. Das verschaffte ihm Ansehen in der alternativen Rockszene.
Der Folkstil, den Fahey verdammte, bildete die Inspiration für Charlie Schmidt. Als Anfänger hatte er Faheys frühe Musik wie ein Schwamm aufgesogen. 1981 traf Schmidt Fahey und wurde sein Schüler, insofern man überhaupt ein Schüler von John Fahey werden konnte, sabotierte der doch alle Erwartungen, was systematisches Lernen betraf. Vielmehr regte er Schmidt zuallererst zum Nachdenken an. Er zwang ihn, sich Gedanken über das Tempo eines Stücks zu machen – und wie es mit dem Rhythmus, den Akkorden und der Melodie zusammenhing. Für Fahey war Musik zuerst eine Sprache der Gefühle. Im Gegensatz zu Fahey ist Schmidt dem akustischen Solospiel treu geblieben. Seine Kompositionen schöpfen aus dem Reservoir des alten unheimlichen Amerika, sind Hymnen und Blues-Nummern, die oft eine träumerische Qualität besitzen. Wenn er mit dem Metallröhrchen die Saiten hochfährt, wimmert die Slide-Gitarre verzückt.
Charlie Schmidt: „Xanthe Terra“, Strange Attractors Audio House SAAH20/21