: Sunnitischer Boykott nach Mordanschlag
Iraks Sunniten stellen ihre Mitarbeit in Verfassungskommission ein. Das ist ein Rückschlag für den politischen Prozess
ERBIL taz ■ Die Fraktion der sunnitischen Araber hat gestern ihre Mitarbeit in der irakischen Verfassungskommission eingestellt. Am Dienstag war das sunnitische Kommissionsmitglied Mijbil Isa zusammen mit einem Berater und einem Leibwächter getötet worden. „Wir setzen den Boykott fort, bis unsere Forderungen erfüllt sind“, sagte Kamal Hamduni, einer der ursprünglich 15 Sunniten in der Kommission. Sie fordern eine internationale Untersuchung der Morde. Darüber hinaus verlangen sie eine größere Rolle für die Sunniten bei der Ausarbeitung der Verfassung. Zudem müsse der Kommissionsvorsitzende, der schiitische Geistliche Humam Hamudi, eine Erklärung zurücknehmen, wonach die Verfassung bis Ende des Monats stehe, sagte Hamduni.
Der Boykott der Sunniten ist ein herber Rückschlag für den politischen Prozess im Irak. Nach zähen Verhandlungen hatte die schiitisch-kurdische Mehrheit im Parlament, in dessen Händen die Ausarbeitung der Verfassung liegt, den Sunniten erst im vergangenen Monat eine Repräsentanz in der Kommission zugestanden. Nach Morddrohungen stellten aber bereits kurz darauf zwei Sunniten ihre Mitarbeit ein.
Sunniten machen indirekt regierungsnahe Kräfte für den Mord an dem aus Kirkuk stammenden Rechtsprofessor Isa verantwortlich. Isa habe sich von Fraktionen in der Regierung bedroht gefühlt, sagte der sunnitische Kommissionsvertreter Saleh Mutlak. Wie zuvor bereits andere Sunniten wies er dabei auf die Kurden. Mit Isa sollte ein Gegner des Föderalismus zum Schweigen gebracht werden, sagte Mutlak.
Der Föderalismus und die Rolle des Islam gehören zu den umstrittensten Fragen in der Kommission. Die Kurden verlangen, dass Artikel 58 der Übergangsverfassung noch vor der Volksabstimmung über die endgültige Verfassung im Oktober umgesetzt wird. Dieser sieht die Rückkehr von tausenden vertriebenen Kurden und die Wiederherstellung der alten Provinzgrenzen von Kirkuk vor. Während das kurdische Autonomiekonzept unter Teilen der Schiiten Zuspruch findet – insbesondere in drei Südprovinzen, wo es Pläne für die Gründung einer „Föderation“ nach kurdischem Vorbild gibt –, wird sie von der Mehrheit der Sunniten als staatszersetzend abgelehnt.
Die schiitische Mehrheitsfraktion im Parlament wie in der verfassungsgebenden Versammlung macht keinen Hehl daraus, dass sie den Islam zur Staatsreligion erheben will. Obwohl die Kurden dies mehrfach abgelehnt haben, zeigen sie in jüngster Zeit überraschende Zurückhaltung. Ein Verfassungsentwurf, der in Bagdad kursiert, sieht vor, das relativ liberale Personenstandsrecht von 1959 abzuschaffen und die Scharia einzuführen. Nach Protesten von Frauenorganisationen ruderte der Kommissionsvorsitzende freilich zurück. Es sei noch nichts entschieden, sagte Scheich Hamudi. INGA ROGG