berliner szenen: Viel Segen am Tag des Sperrmülls
Von Weitem sieht es aus, als seien Menschen auf der Flucht. Einer schleppt sich mit einer zusammengerollten Matratze ab, ein anderer zieht im Handwagen mehrere alte Koffer hinter sich her. Von allen Seiten sind Leute unterwegs zum Platz. Von Nahem sieht man, was sie transportieren: ihren Sperrmüll.
Die BSR hat einen Sammeltermin angekündigt und ist mit zwei Müllschluckern gekommen. Ein Container steht für den Elektroschrott bereit. Regale, Bettgestelle, Sessel landen mit Schwung im Wagen. Wer das nicht alleine schafft, wird von den Müllmännern unterstützt. Auf Knopfdruck starten sie die Zerkleinerungsmechanik, krchkrchkrch – das war's dann mit der Plüschcouch. Zwei Kinder bringen den Müll ihrer Nachbarn in einer Schubkarre, eine Tour nach der anderen. Sie wirken vergnügt, die Sache scheint sich zu lohnen. Je mehr es auf das Ende der Müllaktion zugeht, desto mehr Menschen kommen. Räder, Anhänger, Rollstühle – alles eignet sich als Transportmittel. Ein Mädchen guckt verständnislos zu, mit welchem Elan ihre Eltern entrümpeln, schon die dritte Fuhre. „Ich hab doch heute Geburtstag, ich bin jetzt acht.“ Immerhin findet sie die Aufmerksamkeit einer alten Dame, die spontan „Viel Glück und viel Segen“ anstimmt. Das Mädchen guckt beseelt und ruft dem Vater zu: „Die Frau hat mir ein Lied gesungen.“
Zögerlich kommt ein kleiner Junge mit den Eltern samt ausrangiertem Bobbycar an. Als er außer Sichtweise ist, bricht einer der Müllmänner entschlossen ein Vorderrad ab. Eben noch Spezialist für Kurz- und Kleinhacken, zeigt er jetzt Sinn für Nachhaltigkeit. Dieses Teil ist bei dem Bobbycar zerbrochen, mit dem sein Sohn durch die Wohnung gebrettert ist. „Das mach ich jetzt flott für meine Kleine. Wär doch zu schade zum Wegschmeißen.“
Claudia Ingenhoven
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