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: Egal was kommt, die Schule bleibt auf

Mit steigenden Coronazahlen ist der Betrieb der Schulbibliothek, die ich gerade zu neuem Leben erweckt hatte, wieder eingeschlafen. Statt Jugendliche mit Kartenspielen und Lesestoff zu versorgen, verwalte ich nun anstaubende Bücher. Nur eine Schülerin nutzt die Bibliothek mehrmals täglich. Immer wenn die Sonne oben am Himmel steht, kommt sie, um in einer ruhigen Ecke zu beten. Auch Lehrer*innen haben die Bibliothek umfunktioniert: Wann immer sie einen Ausweichraum brauchen, weil sich die Fenster im oberen Trakt nur kippen lassen oder ihre Klassen in zwei Gruppen unterteilt werden müssen, um Abstand halten zu können, verlegen sie den Unterricht zu mir. Ich scheue es, mehr Werbung zu machen. Dass nur wenige kommen, bedeutet schließlich ein gewisses Maß an Sicherheit. Und Sicherheit an einer Schule ist in der aktuellen Lage eine Frage von reduzierten Begegnungen, Abstand, Masken und frischer Luft.

Durchlüften lässt sich die Bibliothek gut. Mit den Masken und dem Abstand aber tun sich noch immer viele Schüler*innen schwer. Geschätzt ein Drittel rennt in den Pausen mit unters Kinn gezogenen Masken auf den Hof, ohne auf Abstände zu achten. Die Maskenfrage, habe ich das Gefühl, wird in den Familien entschieden. Auf Bitten, die Maske über Mund und Nase zu ziehen, kommt meist nur Genuschel wie: „IschabkeinCorona!“ Ich erkläre immer wieder, dass es um Solidarität geht. Dass rund 40 Prozent der gesamten Gesellschaft zur Risikogruppe gehören. Die Diskussionen aber kosten Zeit und Nerven. Oft habe ich Letztere nicht mehr. Mittlerweile steht die Schule im Ampelsystem auf Orange. In den gemischten Unterrichtsfächern heißt es nun Masken auf, sitzen bleiben und Frontalunterricht wie früher. Gruppenarbeiten und Ausflüge sind Vergangenheit. Alle 20 Minuten werden die Fenster und Türen aufgerissen, um stoßzulüften. Die meisten behalten ihre Winterjacken an. Auch der Anblick von nach Luft schnappenden Schüler*innen am Fenster ist keine Seltenheit mehr. Seit Wochen frage ich mich, wann die Politik endlich Lösungen liefert.

In der Schule wird gemunkelt, bald kämen Luftfilter. Derweil aber müssen mehr und mehr Klassen in Quarantäne. Viele Schüler*innen möchten wissen, ab wie vielen Klassen in Quarantäne die Schule auf Rot, also auf einen Wechsel zwischen angeleitetem Lernen zu Hause und Präsenzunterricht, gestellt wird. Sie fanden das Modell vor den Sommerferien, bei dem die Klassen geteilt und im Wochenwechsel jeweils an zwei und drei Tagen unterrichtet wurden, gut. Obwohl ihnen klar ist, dass nicht alle zu Hause lernen können, fragen sie: „Ist das nicht die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass die Schule irgendwann ganz schließt?“

Meine Lieblingslehrerin, selbst Risikogruppe, übt sich in schwarzem Humor: Als ich ihr ein paar Tage vor dem erneuten Konferieren der Bundesminister*innen erzähle, dass beinahe die ganze Schule meiner Tochter in Quarantäne geschickt wurde, meint sie: Da bekommt Rot-Rot-Grün ja eine neue Bedeutung!“ Ich brauche einen Moment. Dann stimme ich ein: „Absolut. Wenn die eigene Schule und die des Kindes Rot-Rot stehen, kann man nur darauf bauen, dass privat alles im grünen Bereich bleibt.“ Sie legt nach: „Was auch passiert: Die Schulen bleiben geöffnet!“ Ich erwidere: „Genau. Die Klassen werden nach und nach in Quarantäne geschickt. Die Schulen aber bleiben auf! Das Bild einer sperrangelweit geöffneten, leeren Schule, in der nur noch der Hausmeister die Stellung hält, bringt uns zum Lachen. Es ist ein verzweifeltes. Lena Lörzer