: Diesseits von Babylon
Für die fast 2.000 Sprachen Afrikas gibt es kaum Übersetzungsprogramme: Zwei Bremer Studenten haben sich dran gemacht, das mithilfe von künstlicher Intelligenz zu ändern
Von Samira Ghozzi
Bonaventure Dossou und Chris Emezue hatten mit Politik nichts im Sinn, als sie begonnen haben, ein Übersetzungssystem zu entwickeln. Aber das ist hochgradig politisch. Es soll mithilfe von künstlicher Intelligenz die afrikanische Sprache Fon übersetzen. Dossou kam auf die Idee durch eigenen Bedarf. Der 23-jährige Bremer wollte seine Mutter besser verstehen.
Wie ein Großteil der Bevölkerung von Benin spricht er in erster Linie Französisch. Seine Mutter aber spricht und textet nur Fon, das zur Niger-Kongo-Sprachfamilie gehört, das auch in Nigeria verbreitet ist. Selbst nach der Unabhängigkeit Benins 1960 wird aber in allen Institutionen – Schulen, Unis und Finanzamt – noch immer in der kolonialen Sprache gesprochen: Französisch ist die Amtssprache geblieben.
Das Thema Sprache ist seit jeher wichtig in der Entkolonialisierungsdebatte, zumal im anglo- und frankophonen Kontext: Die Linguistin Cécile Canut, Sprachvielfaltsforscherin an der Pariser Université Descartes, hatte schon vor zehn Jahren in ihrem Aufsatz „Nieder mit der Frankophonie!“ analysiert, dass Französisch zwar „eine notwendige sprachliche Ressource“ sei, aber in der jetzigen Praxis alte Machtstrukturen konserviere: „Das Französische bleibt an Frankreich, an die Herrschaft und an die präskriptive Norm assimiliert.“
Dossou selbst möchte sich zwar nicht zur Politik äußern, sieht aber sehr wohl die Probleme, die durch das Aussterben afrikanischer Sprachen entstehen. „Der Schutz von Sprache ist ein Schutz von Kultur“, sagt er. „Wenn du einem Menschen seine Sprache nimmst, nimmst du ihm die Möglichkeit, sich auszudrücken. Was kannst du dann noch von ihm erwarten?“ Dossou konnte die schriftlichen Nachrichten seiner Mutter nicht richtig verstehen, weil er französisch alphabetisiert ist. Übersetzen musste seine Schwester. Google, Alexa und Siri kennen Fon nämlich nicht.
Bonaventure Dossou, studiert an der JUB Data Engineering
Die größte Schwierigkeit bei dem Vorhaben ist für Dossou, der an der Jacobs University Data Engineering im Master studiert, die Datensammlung. Fon ist, wie alle afrikanischen Sprachen, kaum als Schriftsprache etabliert. Es gibt zu wenig Datensätze. Bisher konnten 25.000 eingepflegt werden, von Fon zu Französisch und vice versa. Bei den ersten Datensätzen hatte ihn das Netzwerk Masakhane unterstützt. In dem setzen sich weltweit Wissenschaftler*innen für den Erhalt afrikanischer Sprachen durch den Einsatz von Technologien ein. „Nur 0,1 Prozent afrikanischer Sprachen wurden erforscht, obwohl 31 Prozent der Sprachen weltweit afrikanischen Ursprungs sind“, sagt Dossou.
Diesem Missstand will er sich entgegenstellen. Neben dem Übersetzungssystem hat er mit zwei Freunden nun die erste mobile Tastatur für eine afrikanische Sprache entwickelt, das „Clavier Fongbé“. Lokale Songwriter können so beispielsweise ihre Texte mobil verfassen und Dossou nutzt die Tastatur zum Chatten mit der Mutter. Das parallel entstehende Übersetzungssystem soll demnächst als Freeware in einer Web- und Mobilversion verfügbar sein. Trotz dieser Erfolge fordert Dossou mehr Unterstützung. „Unsere afrikanischen Regierungen müssen sich für uns Wissenschaftler finanziell mehr einsetzen.“ Dossou musste die Entwicklung des Übersetzungssystems mit dem eigenen Geld finanzieren. Schwierig für einen Studenten.„Mein Ziel ist es, dass afrikanische Wissenschaftler unabhängige und eigene Technologien schaffen.“ Globale Konzerne wie Google seien für ihn eher Kooperationspartner. Für Support sei man immer offen.
Immerhin zeichnet sich bei Google ein Problembewusstsein ab. Im Jahr 2013 hatte es im Übersetzungstool der Suchmaschine keine afrikanische Sprache gegeben. Jetzt sind es 15. Knapp die Hälfte der Sprachen im Google Übersetzer sind europäisch geprägt – Friesisch mit 400.000 Sprecher*innen ist dabei, Fon mit 2,2 Millionen nicht. Zudem sei die Qualität der Übersetzungen bei den wenigen afrikanischen Sprachen miserabel. Das bestätigt auch Virginie Kamche, Eine-Welt-Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung in Bremen und Mitgründerin des Afrika-Netzwerks. „Viele Kinder, die hier in der Diaspora aufwachsen, wollen auf der Suche nach ihrer Identität die Muttersprachen ihrer Eltern lernen.“ Viele Eltern nutzten jedoch eher Deutsch, Englisch oder Französisch, da es als moderner gelte. Manche würden sich für ihre Muttersprache schämen. „Hier bemerken wir starke Sprachhierarchien auf Kosten afrikanischer Sprachen“, sagt sie. „Wir müssen unsere Muttersprachen erhalten und sie unserer nächsten Generation mitgeben.“ Das Übersetzungssystem von Dossou sei, so Kamche, ein guter Schritt in diese Richtung.
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