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Inklusion bei Explosiv

Menschen mit Behinderung können unter bestimmten Umständen von einer speziellen Werkstatt an einen sogenannten ausgelagerten Arbeitsplatz in ein ganz normales Unternehmen wechseln. Eine Betroffene berichtet

Von Kristina Simons

Menschen mit Behinderung sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Seltenheit. Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland sei der Zugang zum Arbeitsmarkt für Schwerbehinderte noch immer mit Hemmnissen verbunden, heißt es im Inklusionsbarometer Arbeit 2019 der Aktion Mensch. Dabei sei die Teilhabe am Arbeitsleben für die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderung von entscheidender Bedeutung.

Tatsächlich liegt die Beschäftigungsquote von Menschen mit schwerer Behinderung gerade mal bei 4,63 Prozent – laut Sozialgesetzbuch muss diese Quote bei Arbeitgebern mit mindestens 20 Arbeitsplätzen bei fünf Prozent liegen. Häufig kommen Menschen mit Behinderung in Werkstätten unter, die ihnen einen geschützten Raum bieten, in dem sie arbeiten, sich weiterbilden und weiterentwickeln können. Je nach persönlichen Möglichkeiten ist die Arbeit mal mehr, mal weniger anspruchsvoll. Immer wieder schaffen einige von ihnen den Sprung von einer Werkstatt in ein Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Eine davon ist Bozena Bäumle. Sie ist seit Oktober 2016 auf einem „ausgelagerten Werkstattarbeitsplatz“ bei Explosiv Arbeitsschutz und Industriebedarf tätig. Das Berliner Unternehmen veredelt und vertreibt Berufskleidung und Schutzausrüstungen. Zuvor hatte die 37-Jährige 14 Jahre lang in einer Werkstatt der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (BWB) in der Siebdruckabteilung gearbeitet. Ausgelagerter Werkstattarbeitsplatz bedeutet: Bäumle ist weiter bei der BWB beschäftigt, arbeitet aber bei einem ganz normalen Unternehmen.

„Ich wollte irgendwann was anderes machen, neue Erfahrungen sammeln“, erzählt Bäumle. Als die BWB 2016 das vom Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderte Projekt „BAK: Beratung, Akquise, Karriere“ gestartet hat, war Bäumle deshalb sofort mit dabei. Innerhalb von zwei Jahren wurden sie und 14 weitere Mitarbeitenden von Jobcoaches des BWB-Integrationsmanagements auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet. Während Bäumle zu Explosiv Arbeitsschutz kam, gingen zwei andere BWBler auf ausgelagerte Arbeitsplätze zur Schwesterfirma Eiszentrale auf dem gleichen Gelände.

BWB-Jobcoach Stefan Hampel besucht Bozena Bäumle und die beiden anderen bei der Eiszentrale nach wie vor einmal in der Woche, klärt Organisatorisches und spricht mit ihnen über alles, was gerade ansteht. Hampel vermittelt bei möglichen Konflikten. „Die gibt’s hier aber nur selten“, betont er.

Um mögliche Berührungsängste abzubauen, hat die BWB zu Beginn auch die angestellten Kolleg*innen in den Unternehmen geschult. „Bei Explosiv Arbeitsschutz und der Eiszentrale waren aber alle von Anfang an aufgeschlossen und haben unsere Mitarbeitenden sehr herzlich aufgenommen und integriert“, so Hampel. Sie selbst sei anfangs allerdings sehr aufgeregt gewesen, erinnert sich Bozena Bäumle. „Aber dann wurde es Schritt für Schritt einfacher – auch dank meiner Kolleginnen und Kollegen hier.“ Alle duzen sich, „Bäumchen“ wird sie von ihnen liebevoll genannt. Gleich neben dem Eingang des Firmen-Flachbaus hat Bozena Bäumle ihr eigenes kleines Reich. Hier entgittert sie zum Beispiel Klebefolien, entfernt also überschüssige Folienränder von Firmenschriftzügen, die dann auf Pullover, Shirts und Westen der entsprechenden Unternehmen gebügelt werden. Sie verpackt die fertige Arbeitskleidung und macht sie versandfertig. In den Lagerräumen sortiert sie die Bekleidung und kontrolliert die Bestände. Wenn online oder im Laden Bestellungen eingehen, kommissioniert Bäumle die entsprechende Ware. Sie kontrolliert, ob aufgenähte Etiketten an der richtigen Stelle sitzen und die Nähte sauber sind. An der Patchmaschine bügelt sie Namens- und Werbeetiketten auf Textilien.

„In den letzten Monaten habe ich auch viele Mund-Nasen-Masken mit Firmenlogos und -namen bedruckt“, erzählt sie. „Für uns ist das perfekt“, sagt Geschäftsführer Frank Hasenleder. „Dadurch, dass Bozena Bäumle viele wichtige Vor- und Nacharbeiten übernimmt, können sich unsere anderen Mitarbeitenden auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren und viel effizienter arbeiten.“

Einer der BWB-Mitarbeitenden aus der Eiszentrale wird demnächst über das Budget für Arbeit dort festangestellt. Seit 2018 können Menschen mit Behinderung durch eine Kombi aus finanzieller Unterstützung an den Arbeitgeber und personeller Unterstützung am Arbeitsplatz am allgemeinen Arbeitsmarkt teilhaben. Zugleich können die Mitarbeitenden unbürokratisch und kurzfristig zurück auf einen Werkstatt-Arbeitsplatz gehen, wenn ihnen der allgemeine Arbeitsmarkt doch nicht zusagt. „Das nimmt vielen die Angst vor diesem Schritt“, weiß Stefan Hampel.

Für Bozena Bäumle kommt das derzeit nicht infrage. „Auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz mit der regelmäßigen Betreuung durch meinen Jobcoach fühle ich mich auch sicherer.“ Corona habe die Angst vor der freien Wirtschaft eher noch verstärkt. „Wir wollen niemanden in den allgemeinen Arbeitsmarkt drängen“, betont Stefan Hampel, „sondern wir achten sehr individuell darauf, was geht und was nicht.“

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