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Narziss und Chromlack

Die Kunsthalle Kiel reflektiert vier Arbeiten von Jeppe Hein mit Werken der eigenen Sammlung: Die spekulieren auf unterschiedlichste Weise über den Blick in diverse Spiegel

Von Frank Keil

Da sitzt man nun, maskiert; gemäß den Hygienevorschriften, ein Wort, das einem in Ton und Schrift noch immer nicht lässig gelingen will. Sitzt auf einer kleinen Bank am Anfang der großen Ausstellungshalle der Kieler Kunsthalle, die Sitzfläche ein schwarzes, gepolstertes Kissen, vermutlich ist es aus Kunstleder und man schaut geradeaus in einen wandfüllenden Spiegel. Hat sich noch immer nicht so recht daran gewöhnt, dass gut die Hälfte des eigenen Gesichts verborgen ist, während man doch selbst die Welt in ihrer Gänze vor sich sieht, es sei denn man ist Brillenträger, dann wird es ja zuweilen an den unteren Rändern der Welt neblig.

Aber viel Zeit, sich selbst anzuschauen, sich zu begutachten, auch abzugleichen, ob man etwa wirklich so attraktiv ist, wie man denkt, dass man es ist (wie mögen einen die anderen sehen, heute, in diesem Moment?), bleibt nicht: Denn Rauch quillt bald aus den Löchern, die streng geometrisch unterhalb der Sitzfläche in die Bank hineingebohrt worden sind, in weißen, dichten Schwaden. Und es dauert nicht allzu lange, bis man regelrecht eingehüllt ist in Qualm, der aufsteigt, der sich ausbreitet, der einen wie mit einem Mantel umschließt, wie man da sitzt, schon sieht man von sich im Spiegel gegenüber bestenfalls die Füße, sonst noch einen vagen Umriss seiner selbst.

Bis die Wolke niedersinkt, sich auflöst, verweht – und man sitzt wieder so da, wie zuvor, dem Spiegel gegenüber. Nichts hat sich verändert und doch ist einiges passiert. „Smoking Bench“ ist der Opener der Ausstellung „Right here. Right now. Jeppe Hein zu Gast in der Sammlung“. Jeppe Hein, ein dänisch-deutscher Künstler, wie immer wieder betont wird. Das liegt daran, dass er (Jahrgang 1974) erst an der dänisch-königlichen Kunstakademie in Kopenhagen studierte, dann an die Städelschule in Frankfurt am Main wechselte, zurück nach Kopenhagen ging, zuletzt den Weg nach Berlin fand.

Dort arbeitete er zunächst für Ólafur Elíasson, bis er schließlich ein eigenes Produktionsatelier sowie eine Familie gründete (vier Kinder!). Mit Kiel ist Hein auf ganz eigene Weise verwoben. Seit 2004 gibt es von ihm im innerstädtischen Hiroshimapark, gewidmet den Opfern des ersten Atombombenabwurfes, die begehbare Installation „Changing Invisibility“: Ein Quadrat aus Bodenplatten bildet einen eigenen Raum innerhalb der idyllisch-floralen Parkwelt und auch hier werden wieder Düsen aktiv. Nur, dass diesmal kein Dampf emporsteigt, sondern Wasser vom Boden her in die stets gleiche Höhe schießt. Nacheinander erheben sich Seite für Seite so Fontänen, bis der Raum von ihnen eingeschlossen ist. Dann fällt die erste Wand in sich zusammen, die nächste folgt, dann die nächste und die letzte und man tritt wieder nach allen Seiten ins Freie, und die Füße sind trocken geblieben.

Seine qualmende Bank hat er bereits 2002 entworfen und realisiert, für eine seiner ersten Solo-Ausstellungen. Damals war er einer der jungen Künstler, für die man das Wort „durchgestartet“ kreiert hat, und es dauerte noch mythische sieben Jahre, bis ihn ein Burn-out von den Füßen holt; bis er nach nicht mehr zu bändigenden Panikattacken alle Termine absagt, morgens nicht aufstehen mag, kaum mal vor die Tür geht, stattdessen Yoga lernt, sich mit Atemübungen und Meditationstechniken vertraut macht und in die Ideenwelt des Buddhismus eintaucht. Sein Team arbeitet währenddessen die anstehenden Aufträge und Ausstellungen ab, an denen es auch jetzt nicht mangelt.

Aus dem Burn-out zurück legt Jeppe Hein das Sendungs-bewusstsein des Geheilten an den Tag

Und Hein kommt zurück, klinkt sich wieder ein, durchaus geläutert, aber eben auch versehen mit jenem Sendungsbewusstsein des Geheilten, der die Krise als Chance vor sich herträgt und zu nutzen versteht.

Denn am Ende, vorm Ausgang, folgt ein Video, in dem der Künstler sich und einige seiner Arbeiten so eloquent wie locker vorstellt, garniert mit Sätzen, die einleuchtend, aber auch ein wenig banal sind, wie die Weisheit, nach der jedes Ereignis, das wir in unserem Leben hätten, und sei es ein Herzanfall, „uns eigentlich stärker“ mache, „wenn wir wieder zurückkommen“, spricht’s, im blendend-weißen T-Shirt mit dem Aufdruck „BREATHE WITH ME“ in blauer, gekonnt ungelenker Schreibschrift.

Kontrastiert werden Heins Arbeiten, von dem auch Luftballons aus Kunststoff und Chromlack kunstvoll unter der Decke hängen, mit einer raumgreifenden Installation der polnischen Künstlerin Alicja Kwade, der die Kieler Kunsthalle 2018 eine umfassende Retrospektive gewidmet hatte: „Weltenlinie“, damals fürs Museum konzipiert und realisiert, entpuppt sich als gespiegelte Welt, in der sich mit Bezug auf die Relativitätstheorie die Proportionen verschieben, wenn man das Werk Schritt für Schritt umkreist.

Später drehen sich die mit Spiegeln versetzten Regiesessel von Isa Genzken emsig im Raum, an den Wänden finden sich stille Meisterwerke des Informel wie „Zwei Zeitalter“ von Willi Baumeister. Schon im vergangenen Jahr hatte man in der Kieler Kunsthalle immer wieder ins Depot geschaut, sich vom Alles-muss-neu-sein-Trubel gelöst und stattdessen den Blick auf aktuelle Positionen mit denen von zu entdeckenden Vorläufern und Vorläuferinnen trefflich ergänzt.

Passend daher das Gemälde „Büro“ von Harald Duwe, dem Kieler Realisten, das zeigt, wie Büroarbeiter über einen einsehbaren Spiegel kontrolliert werden und die heutige Debatte um das Pro und Contra des Homeoffice kommt einem plötzlich seltsam vertraut vor.

Sehr schön auch die Arbeit „Speisesaal (Altenheim)“ des Schweizer Künstlers Jürgen Brodwolf, ein Guck-Blechkasten hängt an der Wand, in den sich schauen lässt: Menschenfiguren aus ausgequetschten Farbtuben sitzen entsprechend bedrückt an langen Tischen; das verspiegelte Innere verdoppelt die Szenerie. Oben auf der Galerie sowie in den beiden Kabinetten beackern weitere Sammlungswerke aus Malerei, Grafik und Fotografie zwischen 1870 und heute das Themenfeld des Spiegelns und des Verdoppelns.

Eine Arbeit fast am Schluss fällt dabei besonders auf: „Reflecting Pool“ von Bill Viola. Eine Videoarbeit, ein Loop: Einem Mann ist zu folgen, der aus dem Wald tritt, der sich lange im vor ihm spiegelnden Wasser eines Pools betrachtet, bevor er (Arschbombe!) hineinspringt, eine listige Narziss-Adap­tion. Und zugleich auch und vermutlich ganz unabsichtlich ein Verweis auf das Vergehen der Zeit, so verrauscht und körnig ist das Videomaterial. Dabei ist es, wir sind in einer Kunsthalle, in der es auftragsgemäß kunstgeschichtlich durchaus Jahrhunderte zurückgeht, nur etwas als 30 Jahre mehr, das Viola sein Kamerastativ aufstellte und ein Darsteller für ihn ins Wasser hopste.

Kunsthalle Kiel: Right here. Right now. Jeppe Hein zu Gast in der Sammlung. Bis 24. Januar 2021.

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