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Der Tanz lebt wieder auf

Tanztheater braucht Nähe und Berührung. Seine Akteure sind oft Soloselbstständige. Corona bedroht die ganze Sparte. Die Compagnie of Curious Nature setzt sich zur Wehr

Von Jens Fischer

Kaltgestellt in seiner aktiven Sehnsucht nach Kontakt, Berührung und Interaktion mit ihresgleichen ist das Berufsinstrument der Tänzer. Hat es sich doch in der Pandemie in eine ängstlich beäugte Gefahrenquelle verwandelt. Nicht anfassen, nicht umarmen, stets voneinander abrücken – das wirkt künstlerisch kaum konstruktiv für Menschen, die ganz bewusst mittels ihrer Körper kommunizieren.

Zudem gingen den zumeist frei arbeitenden Tänzer*innen die Verdienstmöglichkeiten verloren, da Live-Performances ihrer sportiven Kunst nur schwer an die Coronaregeln anzupassen sind. Weswegen die Tanz-Sparte am Theater Bremen seit sieben Monaten nicht mehr auftreten, nur proben konnte, als fest angestelltes Ensemble aber weiter bezahlt wird. Ähnlich geht es dem zweiten hansestädtisch basierten Profi-Tanzteam, der für zwei Jahre vom Bund sowie den Ländern Bremen und Niedersachsen geförderten Compagnie Of Curious Nature (OCN). Mit dem Lockdown wurde auch sie ins Homeoffice-Training verbannt.

Nach nur vier Aufführungen der ersten Produktion, „On the shoulder of giants“ des Bremer Choreographen Helge Letonja, brach das komplette Gastspiel- und Tanzvermittlungsprogramm wie auch der Uraufführungsterminplan zusammen. Bis September konnten 19 bereits gebuchte Auftritte nicht absolviert und entsprechend keine Einnahmen für das gemeinnützige Unternehmen generiert werden. Ein Antrag auf Förderverlängerung um vier Monate läuft, damit die geplanten Projekte noch zu realisieren sind. Die inzwischen zwölf Tänzer leben derzeit in zwei voneinander isolierten Gruppen als Hausgemeinschaft mit minimalisierten Außenkontakten, eine in Hannover, eine in Bremen. Dort wurden per Zoom-Meeting wochenlang nur Feldenkrais- oder Body-mind-Centering-Übungen absolviert. Später folgten Einzeltrainings im Probensaal.

Hier wird getanzt

Momentum Zerovon Helge Letonja / Of Curious Nature 15.-17. 10., 20 Uhr, 18. 10., 18.30 Uhr

Futuralgia von Núria Guiu Sagarra / Unusual Symptoms, 22. / 23. 10., 12. /13. 11., 20 Uhr sowie 25. 10., 16 und 19 Uhr

Beide Produktionen im Theater Bremen, Kl. Haus

„Jeder musste sich jeden Tag frei von Coronasymptomen erklären, dann durfte er unter Anleitung trainieren, anschließend probten wir Soli und Tanzsequenzen zu Chopins Préludes, die ich dann zu einer Choreographie zusammengebaut habe“, erzählt Letonja. Im Bürgerpark auf dem Summarum-Festival war ein vorläufiges Ergebnis zu besichtigen, während die Hannoveraner Kollegen ihr Werk „Cheer“ als Video veröffentlicht haben.

Beide Teil-Ensembles beherrschen inzwischen beide Choreographien – in der Hoffnung, dass zukünftig zumindest eines immer coronaverdachtsfrei für Abendshows zur Verfügung steht. Denn eine kleine Tournee von Minden bis Lörrach ist für November in Sicht. Statt der ausgefallenen Live-Abende in Bremen und dem abgesagten Tanz-Festival wollte Letonja den Sommer über auch eine Bühne am Werdersee betanzen lassen. „Der Antrag wird aber wahrscheinlich erst im Winter bearbeitet“, so der Choreograph bitter. Im Ausgleich sei man inzwischen mit Desinfektionsmitteln bis zum Gehtnichtmehr versorgt. Was die Arbeitsbedingungen nicht charmanter machte. „Vormachen, zusammen tanzen war nicht erlaubt, Maskentragen Pflicht und dann mussten wir alle zwei Stunden den Raum reinigen, bis wir Ekzeme an den Händen hatten“, so Letonja.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz: Auf Distanz geübt und auf der Bühne berührungslos umgesetzt kam nun ein Doppelabend der Bremer Tanz-WG heraus. Die bereits für Mai geplanten Aufführungen „Silent Heroes“ und „In Fuga“ konnten in der ausverkauften Schwankhalle vor 26 Besuchern im Coronaabstand uraufgeführt werden. Nach Letonjas künstlerisch enttäuschender OCN-Großproduktion im Februar überzeugen diese kleinformatigen Inszenierungen. Der brasilianische Choreograph Samir Calixto entwickelt aus Bachs Kunst der Fuge elegant schwingende Körperbilder. Im Schummerlicht in Zeitlupe erfreuen Tanzwesen, die unabhängig voneinander erblühen wollen, mit Trainings­etüden. Wie zufällig koalieren sie beim Um-sich-selbst-Kreiseln, vereinzeln wieder, finden schließlich als Sextett zum gemeinsamen Bewegungskanon.

„Zusammen tanzen war nicht erlaubt, Masken tragen Pflicht und alle zwei Stunden mussten wir den Raum reinigen, bis wir Ekzeme an den Händen hatten“

Helge Letonja, Choreograph

Der Bremer Choreograph Tomas Bünger reiht anschließend Soli aneinander, die von der neuen Unmöglichkeit von Nähe handeln: Die Silent Heroes feiern sich in der Verlorenheit ihrer Isolation hübsch ironisch als Stars, feiern ihre Körper, ihre Sexyness in die Bühnenleere hinein.

Bevor der Oldenburger Staatstheater-Ballettchef Antoi­ne Jully „5 Tangos“ von Astor Piazzolla für OCN choreographiert, gibt sich Letonja selbst in Bremen eine zweite Chance mit diesem Ensemble. „Momentum Zero“ hat am 16. Oktober im Kleinen Haus des Theaters Bremen Premiere. Laut Vorankündigung sollen sich Körper mit Naturgewalten verbinden und in diesem „Setting“ die „Koordinaten von Zero als Wendepunkt und Neubeginn“ neu vermessen werden. Was das bedeutet? Auf alle Fälle: endlich wieder Tanz in Bremen. Gefolgt am 23. Oktober von der „Futuralgia“-Premiere, Núria Guiu Sagarras erster Arbeit fürs Theater Bremen.

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