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Archiv-Artikel

Backhilfe gesucht

HAUPTSTADT DER DDR Die Galerie Tammen zeigt die Bilder, die die Fotografin Nelly Rau-Häring in den 80er-Jahren bei ihren Besuchen in Ost-Berlin aufnahm

Unten regelt ein gutmütiger Grenzbeamter den Touristenverkehr, indem er sich mit jedem Pärchen und jeder Reisegruppe erst einmal ablichten lässt: Immer schön einer nach dem anderen! Aufgekratzt ziehen die Besucher weiter und prüfen dabei ihre Aufnahmen: fesche historische US-Uniformen und im Hintergrund die Starbucks-Filiale. Und worin steckt jetzt mehr Berlin: in den immergleichen Checkpoint-Charlie-Porträts, von denen es mittlerweile Millionen geben muss auf der Welt, oder in dem ständigen Reigen von Knipsen und Geknipstwerden, der sich da am Fuße der Friedrichstraße abspielt?

Oben in der Galerie Tammen hängt auch so ein Bild. Es zeigt zwei Frauen vor dem Brandenburger Tor. Eine sitzt da, wirft ihr Haar und schaut kokett in die Kamera, die andere beugt sich herunter, um Haar und Blick und Tor zusammen draufzukriegen. Und gerade weil sie ganz versunken sind in ihr Werk der persönlichen Geschichtsschreibung, wirkt die Szene so perfekt, als hätten sie alle drei nur für Nelly Rau-Häring posiert: die Fotografierende, die Sitzende und das Brandenburger Tor.

Die gebürtige Baselerin Rau-Häring zog 1965, da war sie 18 Jahre alt, nach West-Berlin. Nach ihrer Ausbildung am Lette-Verein fuhr sie später immer wieder mit einem Tagesvisum in den Ostteil der Stadt. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die sie in den Achtzigern während dieser Ausflüge machte, sind die eines wohlwollenden Touristen mit einem wachen Blick für die Eigenart und das Eigenartige: für die alte Dame, die in der Speisegaststätte Koch ihre trockenhaubengroße Wollmütze aufbehält, oder für die schrulligen Typen auf der Karlshorster Trabrennbahn.

Die Arbeiten, die die Galerie Tammen derzeit unter dem Titel „Berlin – Hauptstadt der DDR (1980–1990)“ zeigt, wollen aber keine kleinbürgerlichen Klischees reproduzieren. Vielmehr sind es humorvolle Charakterstudien, auch dort, wo keine Menschen zu sehen sind. Zum Beispiel das Fensterbrett einer Bäckerei in Mitte, auf dem unter einer gerafften Gardine die Reste eines spärlichen Trockenblumenstraußes auf ein bügelfrisches Spitzendeckchen rieseln: Man glaubt sofort zu wissen, wer so sorgfältig „Backhilfe gesucht“ auf das Schild daneben geschrieben hat.

Viele der Bilder zeigen Stadtlandschaften, die entvölkert, aber deshalb nicht entseelt sind: wie die Außenansicht der Gartenanlage „Paradies“, in der die Strommasten die einzigen Pflanzen sind und aus der sich vor der Schnauze eines parkenden Trabis ein gigantischer Rohrwurm herauswindet. Selbst, wenn diese Einöde in Lichtenberg seit Jah- ren kein Mensch mehr betreten hätte, würde sie in jedem Fall durch Nelly Rau-Härings besonderen Blick auf wundersame Art belebt.

Zum Jubiläum des Mauerfalls lässt man sich natürlich auch immer wieder gerne von Fotos erstaunen, die wohlbekannte Ecken in einem seltsam verwunschenen Zustand zeigen. In der heute mit Galerien gepflasterten Auguststraße parkten 1985 eine Handvoll Autos in den wenigen Lücken, die der Bauschutt frei gelassen hatte. Oder die Pferdekutsche auf der nebelverhangenen Schönhauser Allee: Das könnte man auch für ein Postkartenmotiv der vorletzten Jahrhundertwende halten. Bis man zwischen den Hufen hindurch im Hintergrund den Trabi entdeckt.

ARIANE BREYER

■ Noch bis zum 17. Oktober, Dienstag bis Samstag 12 bis 18 Uhr; Galerie Tammen, Friedrichstraße 210