piwik no script img

Ein kurzes Leben außer Atem

Mit Jean-Luc Godards „Außer Atem“ wurde sie zur Stilikone der 1960er: Das Hamburger Metropolis-Kino zeigt eine Retrospektive mit den Filmen von Jean Seberg

Traumpaar der Nouvelle Vague: Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo in Jean-Luc Godards „Außer Atem“ Foto: Studiocanal

Von Wilfried Hippen

Seit Mitte September läuft die Filmbiografie „Jean Seberg – Against all Enemies“ von Benedict Andrews in den deutschen Kinos. Die Programmmacher des kommunalen Kinos Metropolis in Hamburg beweisen also ein gutes Gefühl für Timing, wenn sie jetzt eine Retrospektive mit den Filmen der US-amerikanischen Schauspielerin beginnen.

Jean Dorothy Seberg wurde nur 41 Jahre alt, zwischen 1959 und 1976 spielte sie in 33 Spielfilmen. Aber es ist eine einzige Rolle, in der sie unvergesslich bleibt: die der jungen Amerikanerin, die mit ihren kurzen blonden Haaren, T-Shirt und engen Latexhosen auf den Champs-Élysées den New York Herald Tribune verkaufte. In Jean-Luc Godards „Außer Atem“ wurde sie zur ersten Stilikone der 60er-Jahre. Sie galt damals als die Verkörperung der modernen, befreiten Frau und viele jungen Französinnen ließen sich von ihren Friseuren ihr Haar zum „La coupe Seberg“ schneiden.

„À bout de souffle“, so der Originaltitel von Godards Klassiker, wird am Ende des Monats in drei Vorstellungen (26. 10, 19.30 Uhr; 29. 10., 17 Uhr, und 31. 10., 17 Uhr) in der Originalfassung mit Untertiteln gezeigt.

Doch die Retrospektive beginnt mit dem Seberg-Debütfilm: An diesem Sonntag um 17 Uhr und noch einmal am 6. Oktober zur selben Zeit zeigt das Metropolis die deutsch synchronisierte Fassung von Otto Premingers „Die heilige Johanna“ aus dem Jahr 1957. Der aus Wien stammende Regisseur wählte die Apothekertochter aus dem US-amerikanischen Marschalls­town in Iowa unter 18.000 Bewerberinnen für die Rolle der Jungfrau von Orleans aus.

Bei den Dreharbeiten dirigierte er sie so brutal, dass dies an Missbrauch grenzte. So zog sie sich etwa bei den Aufnahmen auf dem brennenden Scheiterhaufen schwere Verbrennungen zu. Der Film floppte an den Kinokassen, doch Preminger engagierte Seberg auch für seinen Film „Bonjour Tristesse“ (läuft in der englischen Originalfassung am 5. 10. um 19.30 Uhr und am 7. 10. um 17 Uhr).

In der Adaption von Françoise Sagans Bestseller spielt sie eine 17-Jährige, die sich einem existentialistischen Weltschmerz hingibt, der 1957 so en vogue war wie die Chansons von Juliette Gréco. Das US-amerikanische Kinopublikum konnte damit nicht viel anfangen. Nach diesem zweiten Flop galt Seberg in Hollywood als Kassengift.

Doch die jungen Wilden des französischen Kinos, Jacques Rivette und François Truffaut, feierten den Film als Meisterwerk, ihr Kollege Jean-Luc Godard ging noch einen Schritt weiter und lud Seberg für sein Regiedebüt nach Paris ein. So wurden sie und Jean-Paul Belmondo zum Traumpaar der Nouvelle Vague.

Da nur wenige spätere Filme von Jean Seberg bei den Kritiker*innen oder an den Kinokassen Erfolge feiern konnten, war es schwieriger als bei anderen Retrospektiven des Metropolis,Vorführkopien und Aufführungsrechte zu bekommen. So können bis Ende Dezember nur noch sieben weitere Filme gezeigt werden. Darunter das in einer Nervenanstalt spielende Drama „Lilith“ von Robert Rossen und der Katastrophenfilm „Airport“ aus dem Jahr 1970. Leider fehlen das Westernmusical „Paint Your Wagon“, in dem sie neben Clint Eastwood spielt und ihr letzter Auftritt neben Bruno Ganz in Hans W. Geißendörfers Adaption von Ibsens Theaterstück „Die Wildente“.

Jean-Seberg-Retrospektive: bis Dezember, Hamburg, Metropolis; Programm: www.metropoliskino.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen