Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Wohin man käme, wenn man ginge

Foto: Roberta Sant'anna

„Hamburg ist so eine fußgängerfeindliche Stadt, geh mal von der Ruhrstraße auf dem schnellsten Weg nach Eimsbüttel, fast nur Radwege. Sie stellen Radfahrer über Fußgänger!“, schimpft der Freund und schlingt seine Penne arrabbiata runter.

„Wer sind denn überhaupt sie?“, fragt die Freundin.

„Infantile Stadtplaner.“

„Ich verstehe, dass man es Radfahrern recht machen will, Radfahrer sind so aggressiv. Einige wirken, als hätten sie ’ne Knarre unterm Helm. Immer auf Streit aus.“

„Und erst die passiv Aggressiven, die ewig vor dem Bus herfahren, damit alle im Bus zu spät kommen.“

„Das sind oft ökige Frauen!“, ruft eine Tussi vom Nebentisch.

Der Kellner stellt mit Schwung das Tablett Espressi hin und ruft:

„Flanieren ist das Beste zum Seelebaumelnlassen!“

„Die Seele kann nicht baumeln, die Seele ist nicht organisch.“

„Seele gibt’s nicht, ist alles im Gehirn.“

„Und es gibt auch kein Bauchgefühl.“

„Stimmt, man müsste es Hirnregion Südost nennen oder so.“

„Aber Luciano hat recht, beim Spazieren kann man abschalten, beim Radfahren muss man aufpassen.“

„Wenn du von Altona nach Eimsbüttel spazierst, musst du richtig aufpassen.“

„Das ist ja auch keine Wanderstrecke.“

„Was ist der Unterschied zwischen Wandern und Spazieren?“

„Spazieren ist ziellos.“

„Wandern dauert länger, nicht unter 20.000 Schritten.“

„Wandern tut man in der Natur, durch die Stadt latscht oder schlendert man.“

„Oder man bummelt.“

„Man trottet herum und gibt Geld aus.“

„Mein schwuler bester Freund und ich gehen immer Shoppzieren.“

„Hä?“

„Von Laden zu Laden und drin extra viel rumlaufen. Das ist Sport.“

„Eher Lustwandeln.“

„Nee, Lustwandeln bedeutet spazieren in besonders schönen Parks.“

„Man schaut sich um, macht Ah! und Oh!“

„Was ist mit Walken?“

„Walken ist raus, das sieht scheiße aus.“

„Ich hab in Hamburg noch nie jemanden walken sehen.“

„Weil du nie in Parks gehst.“

„Genau, ich kann nicht gehen ohne Sinn und Zweck. Das Ziel ist das Ziel, basta.“

„Deshalb bist du immer gestresst, lauf doch einfach mal so los, ohne Zeitplan und Richtung im Kopf.“

„Wozu?“

„Dabei kommst du nach ’ner Weile auf ganz neue Gedanken, das setzt was frei im Hirn.“

„Dafür kenne ich mich in Hamburg zu gut aus, ich wüsste immer, wohin ich gehe.“

„Dann geh so lang, bis du dich nicht mehr auskennst, immer weiter, verlass die Stadt, lass alles hinter dir.“

„Dann müsste ich aber einen großen Rucksack mit mir rumschleppen.“

„Quatsch, du brauchst nur Kreditkarte und Wasser.“

„Und dann läufst du einfach ein paar Monate durch Europa – danach regst du dich bestimmt nicht mehr über Radfahrer oder schlechte Fußwege auf.“

„Ach ja? Warum denn nicht?“

„Weil du neues Gebiet betreten und so deinen Horizont erweitert haben wirst.“

„Und das macht mich zu einem besseren Menschen?“

„Du wärst auf jeden Fall ein besser durchbluteter Mensch.“

„Und was hätte ich davon?“

„Vielleicht eine höhere Lebenserwartung.“

„Und was hätte ich davon?“

„Mehr Möglichkeiten!“

„Zu was?“

„Dein Leben neu zu beginnen.“

„Und dann?“

„Nichts.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta-Verlag erschienen. Sie war für den diesjährigen Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.