Die Bilder der Bilder

Verlust von Authentizität, Idealen, Utopien: Die Ausstellung „Generation X“ zeigt junge Kunst aus der Sammlung des Kunstmuseums Wolfsburg

VON RONALD BERG

Zur Einstimmung gibt es Vorstadttristesse. „1a – Dosenfeld“ von Manfred Pernice sieht aus wie eine Ansammlung von Stehtischen an Imbissbuden. Nur sind die knapp zwei Dutzend trommelartigen Gebilde aus zersägten Pressspanplatten gezimmert. Pernice’ Materialwahl für seine raumfüllende Installation verstärkt den poweren Eindruck, den die Anspielung auf die (Un-)Kultur der Fressbuden schon anklingen lässt. Auf Pappteller mit Currypommes hat Pernice gnädigerweise verzichtet.

Pernice’ „Dosenfeld“ bildet den Auftakt für die Ausstellung „Generation X“ im Kunstmuseum Wolfsburg. Ein solcher Titel klingt natürlich besser als „Neuerwerbungen der letzten fünf Jahre“. Aber genau darum handelt es sich. Auffällig ist, dass die beteiligten Künstler alle der gleichen Alterskohorte so um die vierzig angehören. Aber eignen sich Künstlerstars wie Neo Rauch, Manfred Pernice oder Damien Hirst als Repräsentanten jener Absteigergeneration der zwischen 1960 und 1970 Geborenen, wie sie Douglas Coupland mit dem Roman „Generation X“ 1994 beschrieben hatte?

Tatsächlich findet man vieles von Couplands fatalistischen Stimmungsbild in den circa 80 Arbeiten der Ausstellung wieder: Pernice’ „Dosenfeld“ aus dem Jahr 2000 ist insofern nicht nur ein realistisches Abbild der dürftigen Verhältnisse, sondern auch das kongeniale Pendant zu Couplands Begriffsprägungen wie „Lessness“ oder „McJob“.

Wieder einmal verhält sich die Kunst mimetisch. Doch gilt der abbildende Bezug inzwischen einer Lebenswelt, die oft nur noch virtuell existiert – als Medienereignis. Da spielt es keine Rolle, ob es sich um Comics oder Fernsehen handelt oder um die Pop-Art, die solch mediales Zeichenmaterial bereits inkorporierte. Pop ist heute überall. Michel Majerus fabrizierte bis zu seinem Unfalltod so etwas wie Post-Pop. Im Grunde hat man alles auf Majerus’ Gemälden schon einmal gesehen. In Wolfsburg hängen Abbilder von Bildern wie von Warhol oder Gerhard Richter. Majerus’ Pop-Art ist eine Art Retrodesign und deshalb signifikant. Den bekannten Formen und Motiven des Pop unterlegt Majerus allerdings einen pessimistischen Grundton: Die kräftig-bunten Farben der strahlenden Konsumwelt der einstigen Pop-Artisten sind einem gebrochen Farbspektrum gewichen, ihr Auftrag zeigt sich bewusst unvollkommen, die Botschaften bleiben skeptisch: „What looks good today may not look good tomorrow“, steht auf einer von Majerus’ Wandinstallationen. Um Pop geht es auch bei der Amerikanerin Elizabeth Peyton, genauer um Popstars. Auch Peyton verfertigt Abbilder von Abbildern, wenn sie Zeitungsbilder von Leuten wie David Hockney oder Prince Harry in bunten Farben und bürstigen Pinselstrichen wiedergibt, so linkisch als hätte ein Teenager seine Idole in seinem Zeichenblock festgehalten. Dass Peytons Bilder nach traditionellen Kriterien als schlecht gemalt gelten müssen, verhilft den Bildern gerade zu einem Stil.

Das genaue Gegenteil zu Peyton in der Ausstellung liefert Sarah Morris. Gibt sich Peyton bewusst nachlässig, riegelt Morris ihre Bilder perfektionistisch gegen Einblicke ab. Morris’ Bildthema sind Fassaden. Deren perspektivisch verzerrte Rasterstrukturen übersetzt die Malerin in großformatige und farbsatte Bilder. Die dabei verwendete Lackfarbe lässt den Blick an der Oberfläche abperlen wie Regentropfen auf einer Motorhaube.

Dass es keine Inhalte mehr gibt, sondern nur noch Oberflächenphänomene, scheint eine geläufige Erfahrung der Generation X. Was sie noch zu berühren scheint, ist das Nächstliegende: etwa das eigene Haus oder die Familie. Der Dresdner Eberhard Havekost liefert dafür die bildlichen Indizien. In seinen nach Fotovorlagen entstandenen Ölgemälden, deren Farbigkeit ins Blutleere und Blasse kippt, liefert Havekost Sinnbilder und Gegenwartsdiagnose zugleich. Im Bild „Filter“ richtet er den Blick auf ein Zugfenster: In der rasenden Bewegung kommt nichts mehr richtig in den Blick. Die reale Welt draußen verschwindet, selbst die Gewissheit, dass da etwas hinter dem Schirm des Fensters sei. Jedes Bild ist doch nur immer Abbild eines anderen.

Es gibt in der Wolfsburger Ausstellung niemanden, der nicht schon vorhandene Bilder in andere Bilder übersetzt. Gary Hume belässt von den Porträts seiner Fotovorlagen nur noch vage Umrisse, fast so reduziert und glatt wie die fiktiven und sinnleeren Logos von Daniel Pflumm. Franz Ackermanns Ölbilder delirieren dagegen, beziehen ihr Vokabular aber aus Comicvorlagen und anderen populären Bildklischees. Selbst Videokünstler wie Christian Jankowski reflektieren auf ihre Art die Scheinwelt der Medien. So wenn Jankowski in seinem Video Wolfsburger Paare in einer Pornokulisse sich streiten lässt.

Ausgerechnet der Megastar des einst als Medienphänomen so gehypten Brit-Pop, Damien Hirst, repräsentiert im Wolfsburger Generationsreigen den Wert des Authentischen: Bei Hirst geht es buchstäblich um Leben und Tod. Opfer sind unzählige Fliegen, die in einem zweigeteilten Glaskubus entweder Nahrung und Schutz finden oder den Tod durch Elektroschlag.

Nimmt man die Wolfsburger „Generation X“ als Sittenbild auf die gegenwärtigen Verhältnisse, muss man sagen: Die Schau ist hauptsächlich ein Ausweis von Verlusten: Authentizität, Ideale, Utopien? Das war einmal. Gibt es auch eine Kehrseite, einen Gewinn? Vielleicht, dass man sich die Verluste eingesteht.

Bis 16. 10, Kunstmuseum Wolfsburg