Maschinengewehre sind schlecht für den Rücken

Lidokino 8: Krieg als Alltag und als Bildlieferant bei den Filmfestspielen von Venedig

Von Tim Caspar Boehme

Die Realität des Kriegs begleitet dieses Jahr auch die Filmfestspiele von Venedig. Gleich mehrere Filme widmen sich der Gegenwart von Krieg. Dabei geht es weniger um direktes Kampfgeschehen als um Fragen wie die nach dem Leben in Krisengebieten oder wie Bilder vom Krieg gemacht und verwendet werden.

Wer den Krieg aus nächster Nähe erlebt hat, ist davon traumatisiert. Im Wettbewerbsbeitrag „Notturno“ des italienischen Dokumentarfilmers Gianfranco Rosi, gedreht im Grenzgebiet des Iraks, Kurdistans, Syriens und des Libanon, sieht man Patienten einer nicht näher spezifizierten Psychiatrie, die ein für sie geschriebenes Stück proben, in dem sie den Terror des IS thematisieren, über gescheiterte Politik diskutieren und sich ihres Vertrauens in Gott versichern.

Man sieht die Patienten, wie sie von einem Arzt ihre Parts ausgehändigt bekommen, ihren Text im Bett lernen, auf der Bühne in Aktion treten, während im Hintergrund auf der Leinwand dokumentarische Aufnahmen von Kriegshandlungen laufen. Gianfranco Rosi, der für Bild und Ton selbst zuständig ist, filmt diese Vorbereitungen nüchtern beobachtend, konzentriert sich auf einige Patienten, macht sie so zu seinen Protagonisten.

Wie auch in seinen vorangegangenen Filmen „Seefeuer“ von 2016 und „Sacro GRA“ (2013) wählt Rosi bevorzugt eine Handvoll Personen aus, denen er diesmal durch ihren von Krieg geprägten Alltag folgt. Manche von ihnen, der Jugendliche Ali etwa, sieht man bei sehr gewöhnlichen Verrichtungen wie Fischen oder Vogeljagd, nachts schläft er zu Hause mit seinen übrigen sieben Geschwistern in dem zum Matratzenlager umfunktionierten Wohnzimmer. Allein sein Blick wirkt auffällig ernst.

Rosi mischt diese Bilder aus der eingeschränkten Normalität mit Szenen, in denen jesidische Schüler ihrer Lehrerin erzählen, wie IS-Kämpfer sie gefoltert haben und Erwachsene grausam ermordeten. Die Zeichnungen der Schüler illustrieren die Verbrechen drastisch. Andere Aufnahmen zeigen Soldatinnen der Peschmerga, die nach einem Einsatz in ihr Lager zurückkehren und sich vor dem Ofen wärmen. Oder wie ein männlicher Soldat sich bei einem Kollegen beschwert, dass er vom Einsatz am Maschinengewehr im Panzer Rückenschmerzen habe, weil der andere zu ruppig fahre.

Diese Momente sind Schnappschüsse aus einem Leben, das in den Nachrichten meistens hintüberfällt. Insofern ist Rosis Film allemal ein wichtiger Beitrag. Ob das fragmentierte Erzählen mit oft sehr ästhetischen Einstellungen aber der Sache immer so ganz gerecht wird oder nicht am Ende doch auch vor allem schöne Bilder liefert, ist ungewiss. Ein Preis dürfte Rosi gleichwohl sicher sein.

Weniger Impressionistisches, dafür überraschende Einsichten bietet der Film „Guerra e pace“ von Martina Parenti und Massimo D’Anolfi in der Reihe Orizzonti. In mehreren Kapiteln präsentieren sie, wie Bilder vom Krieg entstehen, angefangen mit den ersten Schwarz-Weiß-Bildern aus dem Krieg für das Kino, gefilmt bei der italienischen Invasion in Libyen im Jahr 1911. Von da gehen sie weiter zur Allgegenwart von Kriegsbildern bei der Arbeit des italienischen Krisenstabs. Auf den Rechnern der Mitarbeiter flimmern beständig Livestreams, meist von Smart­phones, darunter auch der des Attentäters von Halle – in der Nähe ist eine italienische Sprachschule –, während jemand am Telefon Kontakt zu Betroffenen aufnimmt.

In einem der interessantesten Kapitel ist das Publikum zu Besuch in einer französischen Militärakademie, in der Rekruten für die Bildproduktion ausgebildet werden. Diese filmen Einsätze, erörtern Fragen nach der ethischen Verantwortung beim Filmen oder entwerfen und sprechen Texte für Videopräsentationen von Panzern. Bei einer Unterrichtseinheit, in der die Facebook­auftritte der Soldaten untersucht werden, kommentiert der Ausbilder die pazifistischen Zitate im Profil eines Rekruten mit den Worten: „Wenn wir Frieden hätten, wären wir alle unsere Jobs los.“