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Vom Knast mit Kolportage in die katholische Kirche

Sehet, welch ein Mensch: „Corpus Christi“, ein mitreißender Coming-of-Age-Film des polnischen Regisseurs Jan Komasa

Von Barbara Schweizerhof

Der Spruch vom Glauben, der bekanntlich Berge versetzt, bräuchte dringend ein Update. Schließlich hat sich in unseren ökologisch gesinnten Zeiten die Einstellung zum Bergeversetzen deutlich ins Negative gewandelt. An die ungeheuren Mächte des Glaubens aber glauben wir immer noch – nur dass sie uns als „Mindmapping“, oder „Selffulfilling Prophecy“ irgendwie lieber sind. Dass der Glaube auch auf harte Grenzen stoßen kann, muss der jugendliche Delinquent Daniel (Bartosz Bielenia) zum Auftakt von Jan Komasas „Corpus Christi“ erfahren: Da hat er während seiner Haftzeit zum katholischen Glauben gefunden; die Inbrunst, mit der er die Messe singt, lässt ein durchaus echtes Empfinden erkennen; aber nun, als er entlassen werden soll, teilt ihm sein Idol und Vorbild, der charismatische Priester Thomas, in knappen Worten mit, dass ihm weitere Ambitionen in der Kirche versperrt sind: Das Priesterseminar nimmt keine Straftäter auf. Zwar weiß man da noch nicht genau, welches Verbrechens sich Daniel schuldig gemacht hat, aber dass es keine Lappalie war, meint man dem nervösen jungen Mann fast anzusehen. Die Rücksichtslosigkeit, mit der er mit sich selbst umgeht, Kokain schnupft, Schnapsgläser leert, legt nahe, dass er zu großer Gewalt fähig ist.

Schmiere stehen

Dass er in der allerersten Szene des Films Schmiere steht, während im Raum hinter ihm ein Mithäftling gequält wird, spricht auch nicht gerade für sein Feingefühl. Wenn nicht das Priesterseminar, welche Chancen hält das Polen von heute dann für einen wie Daniel bereit? Die Antwort lautet wie schon im 19. Jahrhundert: Ausbeutung in einem Sägewerk in der tiefsten Provinz. Schon auf dem Weg dahin wird Daniel als „Abschaum“ geoutet.

In etwas freundlicheren Begriffen sagt ihm das auch die junge Frau, die er am Ort des Sägewerks in der Kirche trifft, auf die Nase zu. Daniel reagiert sehr nachvollziehbar: Er will beweisen, dass sich alle in ihm täuschen. So behauptet er, Priester zu sein. Als er dazu das passende Hemd mit weißem Kragen im Gepäck vorweisen kann, führt ihn die junge Frau zum lokalen Priester. Der wiederum nimmt den vermeintlichen Kollegen freundlich auf und wittert seine Chance: Daniel solle ihn doch vertreten, während er den lange schon nötigen Alkoholentzug macht.

Wie Daniel in seinen Job hineinwächst, das ist die eigentliche Geschichte, die der Film erzählt. Auf dem Papier kommt sie einem nicht neu vor – der Scharlatan, der sich als Naturtalent auf dem Gebiet erweist, in dem er zu betrügen vorgibt, ist ein beliebtes Kinosujet. Komasa versteht es jedoch, neue Akzente zu setzen. Mit einer Kamera, die stets nah bei Daniel bleibt, ihn gleichsam umlagert, beobachtet er, wie Daniel wohl mit seinem Betrug durchkommt. Denn so begabt ist Daniel gar nicht. Er verfügt über kein besonderes rhetorisches Talent, über keine tiefen Bibelkenntnisse, aber er besitzt erstaunliches Einfühlungsvermögen – oder ist es einfach die Tatsache, dass er aus eigener Erfahrung so viel über die „sündige“ Seite weiß? In jedem Fall beeindruckt er seine Gemeinde durch sein wenig offiziöses, authentisches Verhalten. Und er hat einen Riecher für Konflikte. Es zeigt sich, dass ein Gefängnisaufenthalt nicht die schlechteste Vorbereitung für den Priesterberuf ist. In seiner neuen Rolle kann Daniel plötzlich Dinge friedlich lösen, für die er einst Gewalt benötigte. Dass das geht, berauscht den jungen Mann noch über das unweigerliche Entlarvtwerden hinaus.

Man muss nicht katholisch sein, um dem Film seine Wandlungen zu glauben; die Emotionen, die er darstellt, scheinen so echt, dass es mitreißt. Fast könnte einem dabei die metaphorische Ebene entgehen, auf der Komasa seinen Film auch als eine Parabel auf Polens jüngere Geschichte sehen will, in der das Flugzeugunglück von Smolensk von 2010 zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt hat, die bis heute nachwirkt.

„Corpus Christi“. Regie: Jan Komasa. Mit Bartosz Bielena, Eliza Rycembel u. a. Polen 2019, 116 Min.

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