: Film als absurdes Welttheater
Zur Wiedereröffnung zeigt das Hamburger B-Movie eine Werkschau des schwedischen Regisseurs Roy Andersson. Dabei fehlen auch seine beiden ganz frühen Spielfilme nicht
Von Wilfried Hippen
Etwas später als die meisten anderen beginnt nun auch das kleine B-Movie in Hamburg St-Pauli wieder mit einem regelmäßigen Filmprogramm. Im September läuft dort eine Werkschau des schwedischen Filmemachers Roy Andersson. Das passt sehr gut: In Anderssons späteren Filmen herrscht dermaßen viel körperliche und räumliche Distanz zwischen den Figuren, dass darin das Lebensgefühl der Coronakrise so treffend antizipiert wurde, wie sonst kaum irgendwo in den visuellen Medien.
Anderssons Filme sind misanthrope Anti-Utopien, in denen Absurdität und Verzweiflung regieren, und alles schief geht. Aber sie sind auch makellos inszeniert und fotografiert, und es herrscht darin ein anarchischer Humor, der Andersson zu einem protestantischen Erben Luis Buñuels macht.
International bekannt wurde er mit seiner „Trilogie über das menschliche Wesen“, die er im Jahr 2000 begann: mit „Songs from the Second Floor“ (zu sehen nun am 6., 12., 13. und 19. September, OmU). Jede Szene darin ist eine finstere Endzeit-Vision, jeweils gedreht in einer einzigen langen Einstellung mit einer wie erstarrt wirkenden Kamera: Da ruhen Autos im finalen Verkehrsstau, während Angestellte in quasireligiösen Umzügen durch die Straße ziehen und einander mit Peitschen geißeln. Buchstäblich am Bein seines weitergehenden Vorgesetzten hängend, bettelt ein kleiner Untergebener um seinen Job. Und in einer Zeremonie opfern die Mächtigen der Gesellschaft eine Jungfrau – anders scheint die wirtschaftliche Konjunktur nicht zu retten zu sein.
Fort setzte er die Trilogie 2007 mit „Das jüngste Gewitter“ (6., 17., 20. und 26. September, OmU). Den Abschluss bildete dann 2014 „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ (12., 19., 20. und 27. September, OmU) – dieser Film brachte Andersson den Goldenen Löwen auf dem Filmfestival von Venedig ein.
2019 folgte „Über die Unendlichkeit“ (24., 26. und 27. September, OmU), der durch die Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“ inspiriert ist – aber in einem ähnlich tristen, lakonischen Stil wie seine Vorgänger inszeniert.
Einen frühen internationalen Erfolg hatte Andersson indes auch schon 1970 mit seinem Debüt „Eine schwedische Liebesgeschichte“ (3. September, OmeU): Das realistische Drama über die Liebe zwischen einer 14- und einem 15-Jährigen gewann mehrere Preise auf der Berlinale, und im Jahr 2012 landete es bei einer Umfrage unter Kritiker*innen und Wissenschaftler*innen nach den besten schwedischen Filmen aller Zeiten auf Platz vier.
Danach tappte Andersson in eine viel beschriebene Falle: das schwierige zweite Werk, in seinem Fall die Gesellschaftssatire „Giliap“ (5. und 13. September, OmeU) – nach diesem Misserfolg inszenierte er 25 Jahre lang keinen Spielfilm. Aber er arbeitete sehr erfolgreich als Regisseur von mehr als 300 Werbespots, von denen immerhin acht in Cannes einen Goldenen Löwen erhielten. In der Werkschau fehlt leider eine Auswahl dieser Arbeiten. Einige davon kursieren auf Youtube, so findet sich dort auch der Clip mit den Passagier*innen an Bord eines Flugzeugs, die phlegmatisch zusehen, wie zuerst die Geschäftsmänner aus der 1. Klasse, dann die Stewardess und schließlich die Piloten – mit Fallschirmen abspringen. Ein kleine, böse Komödie, die wirkt wie eine Vorstudie zu Anderssons späteren Filmen.
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