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Im Schwindel der Verstörung

Midi Z inszeniert seinen #MeToo-Noir „Nina Wu“ brillant zwischen Wirklichkeit und Albträumen. Es ist der erste kommerzielle Film des jungen taiwanesischen Regisseurs

Von Ekkehard Knörer

Nina Wu geht auf die vierzig zu, hat als Internet-Sternchen Erfolg, sie hat einen Agenten, aber keine Karriere als Schauspielerin. Da kommt die Einladung zum Casting: historischer Film, aufwendig, sehr vielversprechendes Drehbuch, allerdings auch reichlich Nacktszenen, die aber natürlich ästhetisch gerechtfertigt sind. „Sie wollen nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele.“

Das ist der zentrale Satz, den sie im Verlauf des Castings spricht, mehr als einmal, das ist der Satz, der sie in ihre Träume verfolgt, die Albträume sind, das ist der Satz, der sich als blutroter Faden durch den Film zieht, den der taiwanesische Regisseur Midi Z über diese Nina Wu gedreht hat. Das Drehbuch dazu hat er gemeinsam mit Ke-xi Wu verfasst, der Hauptdarstellerin, die darin ihre #MeToo-Erfahrungen mit der Filmindustrie zu einem düsteren Psychodrama destilliert.

Nina Wu bekommt die Rolle. Der Regisseur quält sie beim Dreh, schlägt sie, damit der Hass in ihren Augen in der entsprechenden Szene auch echt ist. Nina Wu, die Figur, aber auch „Nina Wu“, der Film, gleitet oder rutscht durch die Ebenen, das Reale und die Fiktion geraten in-, sie geraten auch aneinander. Und zwar auf hoch kontrollierte, brillant inszenierte Weise in durchweg genau komponierten Einstellungen.

Nicht jeder Schnitt vom Film-im-Film zurück in den Film ist ein sicherer Schritt, nicht jeder Schnitt führt auch wirklich zurück, kein Schnitt gibt deshalb der Figur und der Ordnung, die das eine vom anderen trennt, sicheren Halt. Und nicht nur in der Abfolge der Bilder gerät die Kontinuität durcheinander.

Noch in den stabil scheinenden Szenen, etwa beim Gespräch mit dem Agenten in einem Restaurant gleich zu Beginn, schafft die Kamera Unruhe, wenn auch kaum merklich. Immer ist sie in Bewegung, fährt langsam, ganz langsam heran. In anderen Szenen jedoch rast sie durch Räume, von einem Zimmer zum andern, der Figur hinterher. Sie tut das im Film, in dem Nina Wu die Hauptrolle spielt. Sie tut es im Film, der ihre Geschichte erzählt. Und sie tut es in den prekären Szenen dazwischen, bei denen nicht klar ist, ob das, was man sieht, Teil der Wirklichkeit oder Teil ihrer Albträume ist.

„Nina Wu“, der Film, legt seine Karten nicht auf den Tisch. Er ist therapeutisch in dem Sinn, dass er die Verstörung der Heldin nicht distanziert präsentiert, nicht analysiert, nicht erklärt, sondern nachvollzieht. Es ist eine eigentümliche Vertigo-Bewegung, in die man mit ihr gerät. Der Film wird zum Erfolg, sie wird zum Star. Dem aber korrespondiert ein Abstieg ins traumatisierende Erinnern, ein doppelter Sturz in die Scham. Wieder und wieder kehrt der Film zur Ur-Szene des Castings zurück, die Erinnerung an die Demütigung nimmt die Horror-Gestalt einer ausgestochenen Konkurrentin an, die wohl nur in Nina Wus Fantasie existiert.

Die Scham, die Nina Wu nicht loswird, bewirkt eine fantasmatische Täter-Opfer-Umkehrung: Das Opfer, Nina Wu, trägt schwer an einer Schuld, die nicht real, darum aber nicht weniger wirkmächtig ist, bis in die Zerrüttung, den Wahnsinn. Der Psycho-Struktur dieser Umkehrung ist der Film auf der Spur. Das ist eine gewagte, aber auch eine überzeugende Verkomplizierung des #MeToo-Diskurses.

Dass das Verhalten des Regisseurs und des Produzenten, auch des Agenten, jeweils verwerflich ist, wenn auch in unterschiedlichem Maß, das wird hier natürlich nicht in Frage gestellt. „Nina Wu“ geht darüber aber deutlich hinaus, das Drehbuch macht das Opfer radikal zum Subjekt, indem es auf die Traumatisierung durch die Scham fokussiert. Das ist kein Empowerment-Plot, aber diese Effektivität sexualisierter Gewalt ist ein bitterer Teil ihrer Wahrheit.

Das ist eine gewagte, aber auch eine überzeugende Verkomplizierung des #MeToo-Diskurses

Midi Z ist 1982 in Myanmar geboren, als Sohn chinesischstämmiger Eltern, ging mit 16 Jahren nach Taiwan und hat sich in den letzten Jahren mit von Idyllik weit entfernten Filmen über junge Menschen in der Provinz wie „Ice Poison“ (2014) und „The Road to Mandalay“ (2016) international einen Namen gemacht.

Sein jüngster Film spielt zwar zunächst in der Großstadt, aber der Weg zurück in die Vergangenheit seiner Heldin ist auch ein Weg zurück aufs Land, in die Provinz. Hier lebt Kiki, die Frau, die sie liebt, die sie aber zurückgelassen hat, um in der Stadt zu reüssieren. Und auch dieser teuer erkaufte Aufstiegs­ehrgeiz ist für Nina Wu schambesetzt.

Vielleicht bürdet der Film sich und seiner Heldin mit diesem zweiten Strang der Erzählung zu viel auf. Und es hat die eine Verletzung mit der anderen auch nicht notwendig zu tun. Andererseits gewinnt Nina Wu, die Figur, durch diesen biografischen Hintergrund, der sich mit der Erfahrung sexualisierter Gewalt überblendet, an Vielschichtigkeit.

Wenn „Nina Wu“, der Film, ein Problem hat, dann höchstens das, dass er mit jeder Bewegung sich und seine Protagonistin nur immer weiter in Schwierigkeiten verstrickt. Bei Licht besehen ist das aber ein gutes Problem. Zu einfach nämlich machen es sich Ke-xi Wu und Midi Z ganz sicher nicht.

„Nina Wu“. Regie: Midi Z. Mit Wu Ke-xi, Vivian Sung u. a. Taiwan/Malaysia/Myanmar 2019, 103 Min.

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