: Kleine Zeitschrift, große Nummer
Sie sind frech, sie sind gut und waren der Motorpresse wohl zu teuer. Vor drei Jahren setzte der Verlag Monika Schulz und 16 ihrer Kolleginnen vor die Tür. Fünf davon haben nun ein eigenes Reisemagazin gegründet. Und einen Verlag gleich dazu
Von Jürgen Löhle (Text) und Martin Storz (Fotos)
Mai 2009 in Stuttgart: eine Entlassungswelle rauscht durch die Redaktionen der Motorpresse. In der Redaktion der Gruppe Motorrad erhalten 17 von 80 Mitarbeitern überraschend die betriebsbedingte Kündigung, überwiegend Frauen. Juli 2012 in Löwenstein-Hirrweiler: die Abzweigung in die Bergwiesen ist kaum zu finden, ein schmaler Weg an einem Hof vorbei, übersät mit Schlaglöchern. Am Ende das Haus mit der Nummer 9, Sitz des „Plan b. Medienverlags“ von Monika Schulz. Und der Name ist Programm. Schulz hat nach der Entlassung nicht lange gehadert, sondern mit sechs Kolleginnen eine eigene Zeitschrift gegründet. Und auch der Titel des Blatts ist irgendwie Programm – „Abenteuer Wege“.
Was da im Frühjahr 2009 so unvermittelt über die Journalistinnen kam, ist seit einigen Jahren Alltag in Deutschlands Medienhäusern. Die Szene ist in einem brutalen Umbruch. Die Altverleger der Nachkriegszeit mit ihrem Credo – „Wir wollen eine Stange Geld verdienen und ein gutes Blatt machen“ – haben mittlerweile altershalber abgedankt. Viele Erben können mit dem Metier nicht viel anfangen und lassen sich durch smarte Kaufleute vertreten, die als kühle Renditeros durch die Redaktionsstuben huschen und mit dem zweiten Ziel ihrer Vorgänger nichts am Hut haben. Den Herren ist es im Prinzip wurscht, ob sie Reifen, Marmelade oder Zeitungen verkaufen sollen. Deshalb sagt dieser Garde das Wort Qualitätsjournalismus auch nicht viel. Der Inhalt des Blatts wird oft nicht als wichtigstes Kaufargument für das Produkt gesehen, sondern als Kostenfaktor, den es zu optimieren gilt. Klartext: der Journalist wird zusehends zum Rechenobjekt.
Auf Anzeigenrückgang mit Qualität zu kontern, darauf kommt kaum einer
Dahinter steht die insgeheime Überzeugung vieler Verlagsmanager, dass die Zukunft des bedruckten Papiers sowieso ziemlich endlich sei. Ausgestattet meist mit Fünfjahresverträgen, die schmackhafte Provisionen auf Renditesteigerungen enthalten, werden also Redaktionen munter verschlankt, zusammengelegt oder outgesourct. Natürlich offiziell zum Frommen des Verlags, der sonst alsbald am Ende sei. Die Arbeit des schreibenden Personals wird dabei mehr und mehr an Zeilen am Tag und nicht am Inhalt gemessen. Auf die Idee, dem Rückgang der Auflage und es Anzeigenaufkommens mit kreativem und qualitativem Journalismus zu begegnen, kommt kaum noch einer. Und das Internet ist eher Feind als Chance. So weht also ein eisiger Wind durch die großen Pressehäuser des Landes und fegt schreibendes Personal auf die Straße. Manchmal mit Abfindungen, manchmal auch ohne. Und oft ziemlich rüde.
So war es im Mai 2009 bei der Motorpresse in Stuttgart. Monika Schulz, damals stellvertretende Chefredakteurin bei „Motorrad“, erinnert sich: „Wir wurden montags alle überraschend zu einer Konferenz gebeten, in der uns eröffnet wurde, dass etwa 20 der 80 Mitarbeiter der Redaktion betriebsbedingt gekündigt werden.“ Sie erfuhr damals als Einzige schon in der Konferenz, dass sie gefeuert war – zum 31. Juni, was aber nur kurz Heiterkeit bei der heutigen Herausgeberin auslösen konnte. Für die anderen begannen zwei bange Wochen, in denen sie einzeln beim Chefredakteur antanzen mussten, der dann den Daumen hob oder senkte. „Menschlich war das unterirdisch“, sagt Annette Johann, die das Reiseressort unter sich hatte. Und es traf überwiegend Frauen. „Es gab eine Zeit, da wollte der Verlag das Thema Motorrad offenbar breiter aufstellen und hat gezielt Frauen eingestellt – aber die war wohl vorbei“, erklärt die heutige Chefredakteurin von „Abenteuer Wege“. Ende Juni kamen dann 17 Briefe mit Kündigung und sofortiger Freistellung. „Wir waren wohl ein bisschen zu frech und zu anstrengend“, sagt Monika Schulz.
Und wohl auch zu teuer. Viele der Frauen waren gut 20 Jahre im Verlag und hatten entsprechende Gehälter. Dass da auch Qualifikation war, sah man offenbar nicht. Und dass freigestellte Menschen nicht plötzlich von der Bildfläche im Tal der Tränen verschwinden, wohl auch nicht. „Wir hatten relativ schnell den Traum, eine Zeitschrift nach unseren Vorstellungen zu machen“, erinnert sich Monika Rickert, eine der entlassenen Redakteurinnen. Aber der Weg zu „Abenteuer Wege“ war wie der Titel abenteuerlich. Und steinig – auch wenn das Team schnell stand. Vier Schreiberinnen, dazu kam die Grafikerin Corinna Ehmann, die keinen blauen Brief bekommen hatte, aber aus Enttäuschung über den Verlag und Solidarität mit den Kolleginnen von sich aus die Motorpresse verließ. Fünf Frauen und eine Idee – ein Outdoor-Reisemagazin, das eine Verbindung zwischen Reise, Sport und Entdeckungen und politischen, historischen und menschlichen Themen herstellen wollte. Die Klammer waren die Wege, auf denen die Geschichten spielten, aber wer macht so ein Magazin? Die Annäherung mit dem Konzept an einen Verlag in Münster, der mit dem Überraschungstitel „Landlust“ die Auflagen-Hitliste rockte, scheiterte im letzten Moment. „Das war schon hart“, sagt Annette Johann. Die Idee des Magazins drohte zu versanden, und als dann noch ein anderer Verlag das Konzept als „zu professionell“ ablehnte, verstanden sie die Welt nicht mehr. Aber als Einzelkämpferinnen war es auch schwer. „Der Markt für freie Journalisten ist nach den vielen Entlassungen so gut wie tot“, sagt Annette Johann. Oder er treibt seltsame Blüten, wie das Angebot an Monika Schulz, als Chefredakteurin ein Magazin für das Gehalt eines Jungredakteurs zu leiten.
Es vergingen anderthalb Jahre, bis das erste Heft am Kiosk lag
Und so kam es in der Silvesternacht 2010/2011 zur Geburtsstunde eines neuen Verlags. Die Frauen hatten sich zur Feier in den Bergwiesen 9 getroffen. Das war auch ein neuer Weg, bei einem halben Meter Schnee auf knapp 500 Meter in den rauen Löwensteiner Bergen den Grill auf die Terrasse zu stellen und draußen zu feiern. „In der Nacht war uns klar, entweder wir machen alles selbst, oder wir lassen es.“ Nach Mitternacht stand die Entscheidung, und der Plan b. Medien Verlag war beschlossen. „Wir wollten einfach nicht im Gejammer versinken“, sagt Monika Schulz. Am 1. Januar 2011 sollte die Arbeit beginnen, nach einer kurzen Nacht wurde es aber dann doch der 2. Januar.
Zu den fünf stießen noch zwei Produktionerinnen aus der Feuermasse der Motorpresse. Bis das erste Heft am Kiosk lag, vergingen aber noch einmal knapp anderthalb Jahre. Jetzt trifft sich die Redaktion zweimal in der Woche in den Hirrweiler Bergwiesen. Ansonsten arbeiten die Frauen zu Hause. Monika Schulz und Annette Johann, die schon seit Jahren in dem Haus mit der grandiosen Aussicht leben, haben die Ordnung geändert. Unten wohnen, oben arbeiten. Die Redaktionskonferenz ist schon mal am Küchentisch mit Kaffee und Butterbrezel, und seit Mai liegt auch der ganze Stolz, das erste Heft, mit auf dem Tisch. Mit WG-Romantik und einem Blättchen aus dem Copyshop hat das Magazin mit 50000 Auflage aber nichts zu tun. Das Team hat alles, was es braucht, und ist untereinander vernetzt. Bildschirmarbeitsplätze, Produktionsstationen, sogar einen eigenen Server. „Wir sind klein, aber wir sind professionell“, sagt Annette Johann.
Und sie sind zwangsweise Multitaskerinnen, also Schreiberinnen, Fotografinnen, Layouterinnen, Produktionerinnen in einem. Und auch noch Anzeigenwerberinnen. Zu den großen Outdoor- und Reisemessen in Stuttgart, München in Berlin fuhren sie mit einem eigens gedruckten Testheft, „obwohl ich mit Anzeigen eigentlich nie was zu tun haben wollte“, sagt Monika Schulz. Aber nachdem sie ein professioneller Akquisiteur erst angenommen und dann Wochen später doch abgelehnt hatte, blieb ihnen nichts anderes übrig. Und nach der ersten gebuchten Anzeige gab es ein kleines Fest in der Redaktion. Mittlerweile läuft es so gut, dass sie einen zweiten Versuch wagen, das Anzeigengeschäft auszulagern. „Wir sind keine Traumtänzer, auf Dauer ist die Belastung, alles zu machen, einfach zu groß“, sagt Annette Johann. Zumal die Frauen lange Wege für ihre Geschichten gehen müssen. Zu Fuß im Piemont, mit dem Schiff in Norwegen, in der Metro von Moskau, ohne Steigeisen auf 3600 Meter oder mit dem Oldtimer durch Deutschland – man braucht schon ein paar Abenteuer, um so ein Heft zu machen. „Und wir wollen qualitativ guten Journalismus“, erklärt Monika Rickert, „nicht schauen, was es kostet, eine Geschichte zu produzieren, sondern, ob sie was taugt.“
188 Abos sind bereits verkauft
Bei aller Energie und allem Idealismus sind die Frauen aber zu lange im Geschäft, um den Blick für die Realität zu verlieren. Jede arbeitet noch ein wenig frei nebenher, jede hat eine eiserne Reserve, die das Projekt nicht fressen wird. Vier Ausgaben sind aber bereits gesichert, 188 Abos verkauft. Das erste Heft liegt am Kiosk, das zweite kommt am 11. September, 2013 dann die nächsten zwei im Drei-Monats-Rhythmus. Dann wird Kassensturz gemacht. Im nächsten Monat wird nach anderthalb Jahren Vorleistung das erste Geld von den Grossisten fließen. Knapp die Hälfte der 7,50 Euro pro Heft gehen an den Verlag. Abzüglich Mehrwertsteuer. Dazu kommen die Anzeigenerlöse. Wenn von den 50 000 Auflage knapp 20 Prozent verkauft würden, wäre es bereits ein großer Erfolg. „Wir sind gespannt“, sagt Monika Schulz, „wir sind eine kleine Zeitschrift, aber für uns ist das eine große Nummer.“ Geld kam also noch keines, aber positive Rückmeldungen von Lesern und Grossisten. Und nicht eine einzige Bemerkung, dass hier sieben Frauen am Start sind. Männer gibt es natürlich auch – als freie Mitarbeiter.
Der abenteuerliche Weg geht also noch weiter. Auch als Teil einer neuen Realität in Deutschlands Presselandschaft. Die Entlassungswellen der großen Verlage schaffen schließlich einen neuen Markt neben dem etablierten. Und dieser Weg hat gerade erst begonnen.