berliner szenen: Leben wie ein Low-Budget-Film
Die Sprechstundenhilfe hieß Stefanie. Sie war 36 Jahre alt. Geschieden, zwei Kinder. Irgendwann würde sie eine ältere Frau sein, sagen wir 78 Jahre alt, drei Enkelkinder. Eine alte Frau, die Stefanie hieß. Besser noch: Steffi. Jemand würde „Steffi!“ rufen und eine rüstige, noch fitte, aber älter gewordene Frau würde erscheinen. Jemand würde einen Zettel auf ein Buch kleben, auf dem „Für Steffi!“ stand, und eine patente, aber seltsam gealterte Frau mit matt leuchtenden blauen Augen und einem sehr gemäßigten Schritttempo würde sich des Buchs annehmen, weil das Buch laut Zettel für sie bestimmt war. Steffi, Stefanie.
Sie führte das Leben einer alleinerziehenden Mutter. Das Leben einer Sklavin ihrer beiden Töchter. Stefanie führte das eingezwängte Leben einer Frau, deren heilpraktizierender, laienschauspielender Ex-Mann „nicht viel Zeit fand“, um sich ebenso aufopferungsvoll wie sie um die beiden gemeinsamen Kinder zu kümmern. Sie nahm es beinahe klaglos hin. Sie arbeitete halbtags oder dreivierteltags, das Geld reichte immer gerade so eben, es reichte, um die Unkosten zu decken und hier und da eine Sonderanschaffung zu finanzieren.
Sie arbeitete auf Eigenverschleiß und lebte ein Leben wie ein Low-Budget-Film. Und freute sich auf die Vorhaben mit den Kindern an den freien Wochenenden. Stefanie freute sich auf das Zelten in der Schorfheide. Sie freute sich auf den frisch ausgeliehenen Ingo-Schulze-Roman, den sie im recht ausgesessenen Liegestuhl zu lesen beabsichtigte, während ihre Töchter mit dem aufblasbaren Gummiboot, Geschenk von Oma, im See planschen würden. Campingplätze, Zelte, Kochstellen, Radtouren, Fußballplätze, Brettspiele. Kochrunden, Kinotage. Alles etwas heruntergesetzt, aber das machte ihr nichts aus, das kannte sie, das war normal. René Hamann
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