: Lost in Control
ANTITERROR Strafverteidiger Steven T. Wax dokumentiert surreale Folgen des amerikanischen „Patriot Acts“
Die US-amerikanische Rechtsprechung in Zeiten des Antiterrorkampfes ist hochkomplex. Dass der Strafverteidiger Steven T. Wax für die Darstellung seiner Erfahrungen insgesamt 500 Seiten benötigt, ist daher nur verständlich.
Der Pflichtverteidiger des US-Bundesgerichts schildert in seiner Streitschrift „Kafka in Amerika“, wie zwei seiner Mandanten auf Basis der Antiterrorgesetzgebung zu Terroristen gemacht wurden, die sie nicht waren. Der Rechtsanwalt Brandon Mayfield wurde zunächst überwacht und schließlich inhaftiert, weil seine Fingerabdrücke angeblich auf einem Müllbeutel mit Sprengstoff gefunden worden waren, und zwar nach den Madrider Bombenanschlägen im März 2004.
Im Fall des Sudanesen Adel Hamad hatte es einen solchen Anlass nicht einmal gebraucht. Der Mitarbeiter einer saudischen Hilfsorganisation wurde von Sicherheitskräften aus seiner Wohnung in Afghanistan entführt und nach Guantánamo verschleppt. Mehr als vier Jahre saß er dort grundlos gefangen.
Wax dokumentiert nun die rechtliche Vertretung dieser beiden Männer und beschreibt eindrucksvoll, in welch surrealer Situation sich seine Mandanten, stellvertretend für viele andere, befunden haben. Ohne zu wissen, warum sie inhaftiert wurden, sahen sie sich mit Vorwürfen und vermeintlichen Beweisstücken konfrontiert, zu denen sie nichts sagen konnten. Diese kafkaeske Situation sei nur durch die Antiterrorgesetzgebung und die enorme Einflussnahme der Bush-Administration auf die amerikanische Rechtsprechung ermöglicht worden, meint Wax.
Akribisch nimmt er die Antiterrorgesetze auseinander und erläutert deren Folgewirkungen. Dabei bleibt er nicht nur in der Gegenwart stehen. Er stellt die rechtlichen Schritte in einen historischen Kontext, womit er gleichzeitig einen hervorragenden Überblick über die amerikanische Rechtsgeschichte liefert.
Der Strafverteidiger leistet aber noch mehr. Sein Buch ist nicht nur eine Anklage gegen die Antiterrormaßnahmen seiner Regierung. Es ist auch eine nahezu lückenlose Dokumentation über das zunehmende Aufbäumen der amerikanischen Justiz gegen die eigene Regierung.
Allerdings verliert der Autor des Öfteren die Kontrolle über das Wesentliche. Seine Ausführungen ziehen sich durch private Anekdoten und fachwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit einzelnen Rechtsfragen unnötig in die Länge. Dafür hingegen sind die weitreichenden legislativen Veränderungen Barack Obamas, von denen auch seine Mandanten profitiert hätten, nur in einem knappen Nachwort berücksichtigt.
Dennoch ist „Kafka in Amerika“ ein empfehlenswertes Buch. Es ist ein mitunter sehr persönliches Dokument von Aufrichtigkeit in Zeiten staatlicher Paranoia. Es macht das verheerende Ausmaß der Antiterrorpolitik und die Folgen für Gesellschaft und Individuen deutlich und ruft den Wert eines funktionierenden Rechtsstaats in Erinnerung. THOMAS HUMMITZSCH
■ Steven T. Wax: „Kafka in Amerika. Wie der Krieg gegen den Terror Bürgerrechte bedroht“. Hamburg 2009, 29,90 Euro