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Archiv-Artikel

Eine Glocke für das Verschwundene

FRIEDRICH Wegen der EU-Förderung lag es nahe, die 300-Jahr-Feier „Friederisiko“ für den Polenschinder Friedrich zwo von Potsdam bis zur „Bastion Kostrzyn“ auszudehnen: ein Ausflug der Berliner Kulturschaffenden

Auf polnischer Seite bot sich an, den Safari-park in Swierkocin mitzunehmen

VON HELMUT HÖGE

„Wo Warthe sich und Oder küssen, da entstand aus diesem Schmatz – der Festungsplatz“, dichtete einst der kunstsinnige Hohenzollernsprössling Fritz, auch Friedrich zwo, Friedrich der Große oder der Alte Fritz genannt (1712–1786). Goethe, der bekanntlich das Dichten auch nicht lassen konnte, vertraute nach dem Tod Friedrichs seinem Tagebuch an: „Wir waren alle fritzisch gesonnen.“

Das hat sich gottlob gelegt – sieht man einmal von der Wilmersdorfer CDU und anderen beinharten „Preußenfans“ ab, die noch heute gern in Königsberg Danziger Klopse essen. Dabei war der Alte Fritz nicht nur der erste Deutsche, der den Polen ihre Selbstbestimmung nahm – in der sogenannten Polnischen Teilung (ab 1772). Darüber hinaus überzog er sie auch noch mit drei Schlesischen Kriegen (1740, 1744 und 1756). Am Ende fühlten sich die Polen als die „Indianer Europas“, wie der polnische Schriftsteller Ludwik Powidaj 1864 schrieb.

Hierzulande hält man den euro-machtgeilen Polenmalträtierer immer noch für einen großen Humanisten, einen noch größeren Sumpftrockenleger und einen frühkindlich durch seinen Vater – den „Soldatenkönig“ – Traumatisierten. Der Vater ließ 1730 nicht nur den besten Freund seines damals 18 Jahre alten Sohns, Hans-Hermann von Katte, köpfen, weil die beiden sich ins damals liberale England absetzen wollten, sondern tötete auch noch dessen Lieblingskaninchen. All das geschah auf der Festung Küstrin, wohin sein Vater ihn verbannt hatte.

Ein Steinhaufen blieb

Die einst slawische Burg war um 1300 über die Tempelritter mitsamt dem sie umgebenden Lebuser Land an die Postgermanen gefallen, die es fortan Altmark nannten – bis es 1945 wieder zur Woiwodschaft Lebus wurde und die Bastion erneut Kostrzyn hieß. Kurz zuvor hatten die kadavergehorsamen Deutschen „ihre“ Festung jedoch derart verbissen verteidigt, noch über das Ende des Krieges hinaus, dass die Rote Armee sie zusammen mit Teilen der polnischen Volksarmee gleichsam schleifen musste. Am Ende blieb nur ein Steinhaufen übrig, den man zum Teil für den Wiederaufbau von Danzig und Warschau abtrug.

Die Festung blieb im Wesentlichen „Russenfriedhof“ und wurde von der Natur zurückerobert, bis das deutsch-polnische Künstlerduo „Urbanart“ sie 2004 bespielte. „Genius loci“ nannte sich ihr Kunstspektakel, das viele Berliner Kulturinteressierte nach Küstrin lockte. Diese sahen zum Beispiel von der Festung aus zu, wie auf der Grenzbrücke ein polnisches Auto mit einem deutschen frontal zusammenstieß: Das war der Beitrag des bayerischen Künstlers H. S. Winkler. Eine andere Arbeit thematisierte eine auf der versumpften Festung lebende Krötenart, deren Schleim halluzinogene Substanzen enthält.

Inzwischen wurde in die Festung investiert: Neben umfangreichen Erhaltungs- und Gestaltungsmaßnahmen richtete man in ihrem „Berliner Tor“ ein Museum ein. Da die Kulturschaffenden seit der sogenannten Wiedervereinigung gern grenzüberschreitende Projekte verfolgen (wegen der EU-Förderung), lag es heuer nahe, die 300-Jahr-Feier „Friederisiko“ für den Polenschinder Friedrich zwo von Potsdam bis zur „Bastion Kostrzyn“ auszudehnen. Und da der Leiter des Festungsmuseums sowie der Bürgermeister von Küstrin mitspielten, hielt den Leiter des Künstlerhauses Bethanien, Christoph Tannert, nichts mehr davon ab, zehn Künstler zu überreden, sich an dem Event „Denk-Zeichen Kostrzyn“ zu beteiligen.

Nebst Freibier und Würsten

Die Eröffnung war am 29. Juli. Wieder machten wir – Berliner Kunstbeflissene – uns mit einem Bus-„Shuttle“ auf nach Küstrin, das laut Einladung noch immer „nicht touristisch erschlossen ist und sich in einem Zwischenstadium befindet“. Dieses Stadium galt es, nebst Freibier und polnischen Würsten, erneut zu würdigen. Als erstes Kunstwerk fiel uns dort ein riesiges weißes Kaninchen auf, das der Dresdner Künstler Roland Boden auf einer ehemaligen Straßenkreuzung aufgesockelt hatte: zur Erinnerung an das erste Trauma des Alten Fritz.

An das zweite Trauma, die Hinrichtung seines Freundes, des Offiziers Katte, sollte eine etwas verhuschte Arbeit von Via Lewandowsky mit dem schlichten Titel „Grundsteinlegung/Ein Denkmal“ erinnern. Während umgekehrt der Frankenberger Ulrich Polster seiner Arbeit, mit der er auf die vermutete narzisstische Persönlichkeitsstörung von Friedrich aufmerksam machen wollte, den kryptischen Titel „ICD-10 F60.8, 2012, Video / HD Loop, 2:41 min“ gab.

Mit der Festung selbst beschäftigte sich die Schweizerin Simone Zaugg: Vis à vis des nicht mehr vorhandenen Schlosses ließ sie an Stelle der ebenfalls verschwundenen Kirche einen hölzernen Turm errichten, von dem nun stündlich eine Glocke ertönt. Zeitbezogen arbeitete auch der Dresdner Roland Fuhrmann: Sein Werk „300 Jahre an einem Tag“ nutzte den Fahnenmast im Schlosshof als Zeiger einer Sonnenuhr, der auf Ereignisse der deutsch-polnischen Geschichte weist.

Wer mit eigenem PKW angereist war, konnte auf der „Baltic Fort Route“ die Seelower Höhe mitnehmen: eine Gedenkstätte nebst Museum über „Die letzte Schlacht des Zweiten Weltkriegs in Europa“. Auf polnischer Seite bot sich an, den Safaripark in Swierkocin mit echten Löwen und den „Park Dinozaurow“ in Nowiny Wielkie mit falschen Mammuts mitzunehmen. Am Ende kam ein mit seltsamen Eindrücken prall gefüllter Sommerausflug heraus. Und man freute sich umso mehr, wieder zu Hause zu sein.

■ „Denk-Zeichen Kostrzyn“ ist noch bis zum 9. September zu sehen