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Schon immer mit Generalblick unterwegs

Katharina Kost-Tolmein verlässt nach 15 Jahren das Theater Lübeck, wo sie zuletzt die Opernsparte geleitet hat. Dass ihre letzte Spielzeit durch Corona praktisch ausgefallen ist, hat sie nicht davon abgehalten, noch eine Abschiedsvorstellung zu geben – zu sehen auf Youtube

Aus Lübeck Mahé Crüsemann

Für den Saisonabschluss am Theater Lübeck hatte Operndirektorin Katharina Kost-Tolmein einen großen Wurf geplant, in Kooperation mit dem Theater Halle: In Lübeck wäre die Uraufführung von Richard van Schoors „L’Européenne“ zu sehen gewesen, später dann in der Händelstadt, aus der Giacomo Meyerbeers Oper „L’Africaine“ an die Trave gekommen wäre. Alles so schön geplant: Regisseure engagiert, Orchesterproben abgehakt, den Chor einstudiert, die Plakate gedruckt. Dann kam Corona.

Im vierten Stock des Theaters Lübeck, im Büro von Katharina Kost-Tolmein ist es fast ein wenig trostlos. Das meiste ist schon ausgeräumt, der Raum fast leer. Der Schreibtisch wirkt übergroß in diesem leeren Zimmer. An der Wand hängen noch ein paar Besetzungszettel. „Die aktuellen Stücke“, sagt Kost-Tolmein und dreht sich auf ihrem Bürostuhl. Es sind ihre letzten Tage in diesem Büro. Für die 47-Jährige geht eine Ära zu Ende, für das Theater Lübeck auch.

Als Katharina Kost-Tolmein 2013 am Theater Lübeck die Operndirektion übernahm, war die promovierte Musikwissenschaftlerin die erste Frau, die jemals in der Führungsetage des Theater Lübeck saß. Spricht man sie darauf an, reagiert sie verhalten. Es scheint ein unbequemes Thema zu sein. „Es müssen immer die Frauen darüber reden“, sagt sie.

Man merkt ihrer Stimme an, dass sie keine Lust hat, ihre Weiblichkeit zu einer Besonderheit machen zu lassen. „Ich glaube wirklich, bis mal Gleichheit herrscht, das dauert noch ganz lang und ich bedaure das“, sagt sie. Sie wünsche sich, dass es schon jetzt mehr Gleichheit gäbe. „Nur glaube ich, müssen wir anfangen, mit den Männern drüber zu reden.“

Bei Gelegenheiten, zu denen es eigentlich um künstlerische Fragen gehen sollte, bekomme sie oft die Frage gestellt, wie sie denn Karriere und Kinder unter einen Hut bekomme. „Man müsste mal eine Tour machen und allen Theaterleitern diese Fragen stellen, die ich immer gestellt bekomme“, sagt sie. Sie frage sich, ob einer der männlichen Kollegen schon mal darüber sprechen musste, was er mit seinen Kindern mache bei so viel Arbeit.

Sie weiß, wann es Zeit ist zu gehen

Im September letzten Jahres gab Katharina Kost-Tolmein nach 15 Jahren am Theater Lübeck ihren vorzeitigen Rücktritt bekannt. Ihr Vertrag war im Januar letzten Jahres noch bis 2022 verlängert worden. Jetzt geht sie zwei Jahre früher. Sie beweist damit, dass sie weiß, wann es Zeit ist zu gehen, und das zeugt von Kompetenz. Das und der große Erfolg, die sie mit Ihrer Arbeit am Theater Lübeck hatte. Als Kost-Tolmein ihre Kündigung einreichte, titelten die Lübecker Nachrichten: „Lübecker Opernchefin schmeißt hin“. Kost-Tolmein dagegen sagt, sie habe eine Entscheidung getroffen. „Und seither habe ich auch keine Sekunde daran gezweifelt, dass die genau richtig ist.“

Kurz zuvor hatte bereits Christian Schwandt, geschäftsführender Theaterdirektor, nach zwölf Jahren überraschend seinen Rückzug bekannt gegeben. Bereits im August letzten Jahres hatte das Theater Lübeck mit dem gebürtigen Österreicher Stefan Vladar einen neuen Generalmusikdirektor (GMD) bekommen. Kost-Tolmein sieht in diesen Personalwechseln ein Signal. „Wir sind an den Punkt gekommen, wo für mich ein Neuanfang gut ist und auch fürs Haus“, sagt sie.

Kost-Tolmein wechselt an das Theater Münster, wo sie 2022 die Generalintendanz übernehmen wird. Dass sie zwei Jahre nach ihrem Weggang vom Theater Lübeck in Münster eine Stelle bekommen würde, habe sie zum Zeitpunkt ihrer Kündigung nicht gewusst. „Ich bin da wirklich ins Risiko gegangen, das hätte auch ganz anders kommen können“, sagt sie. Aber sie sei jetzt frei, könne denken und vorbereiten. „Und auch das Haus hier kann sich sortieren.“

Katharina Kost-Tolmein lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Im Hintergrund hört man eine Sängerin irgendwo im Haus üben. Die Luft ist stickig undwarm. In Münster kommt nicht nur eine neue Aufgabe auf sie zu. „Sagen wir mal, es ist das Gleiche, nur noch mehr und noch etwas dazu“, sagt Kost-Tolmein und lacht. In Münster wird sie die Leitung eines Fünf-Sparten-Hauses übernehmen. Hier kommen, zu den Sparten Schauspiel, Oper und Konzert, die auch das Theater Lübeck hat, noch Tanz sowie das Kinder- und Jugendtheater. Sie wolle „wirklich mit allen Sparten zusammenarbeiten“, versichert sie.

Fairy Queen und Montezuma

Katharina Kost-Tolmein hatte schon immer den „Generalblick“, wie sie selbst sagt: „Was braucht es alles, wen braucht es alles, wie kriegt man die zusammen?“ Schon als Kind und Jugendliche ging sie leidenschaftlich gern ins Theater. „Als Kind war ich Zirkusdirektorin unseres Kinderzirkusses.“ Dass sie Operndirektorin werden würde, geschweige denn Generalintendantin, war damals noch nicht abzusehen. „Am Anfang sah ich mich einfach als eine begeisterte Zuschauerin“, sagt sie.

Zunächst studierte die gebürtige Ludwigshafenerin nach der Schule Klavier an der Hochschule für Musik Karlsruhe sowie am Königlichen Konservatorium Brüssel. 1996 schloss sie mit dem Diplom ab. Durch ein Praktikum am Nationaltheater Mannheim konnte sie dann einen Blick hinter die Bühne und auf die Arbeit an einem Theater werfen. „Da war es dann sehr schnell klar, dass es dahin gehen würde.“

Sie studierte dann, unterbrochen von Engagements in Mannheim und Heidelberg, Musikwissenschaften und Philosophie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. 2005 folgte ihre Promotion. Sie kam ans Theater Lübeck, wo sie zunächst als Musikdramaturgin arbeitete, später auch in leitender Funktion. 2013 wurde Kost-Tolmein dann Operndirektorin am Haus.

In ihrer Zeit feierte sie einige große Erfolge. Immer wieder gelang es ihr, Mitarbeiter*innen und Künstler*innen so zu koordinieren, dass scheinbar unüberwindbare Hindernisse gemeinsam gemeistert wurden.

Das habe ihr immer besonders große Freude bereitet. Trotz eines klassisch-modern ausgebildetes Symphonieorchesters wurden in Lübeck unter ihrer Leitung in der vergangenen Spielzeit Barockopern wie „Fairy Queen“, Henry Purcells Adaptation von Shakespeares „Sommernachtstraum“ oder „Montezuma“ von Carl Heinrich Graun aufgeführt. Ein Theater sei eine Organisation, die Menschen zusammenbringen soll, „um etwas zu machen, was ein Einzelner eben nicht kann“, sagt sie. Mit einem gemeinsamen Ziel, auf das man gemeinsam hinarbeite, entstehe im besten Fall ein immenses Gemeinschaftsgefühl.

Das Gemeinschaftsgefühl der Kunstschaffenden am Theater Lübeck wurde Anfang des Jahres auf eine harte Probe gestellt. Die Pandemie, die das ganze Land, die ganze Welt den Atem anhalten ließ, brachte auch am Theater Lübeck so einiges durcheinander. Anfang März stellte das Theater Lübeck aufgrund der Coronapandemie den Spielbetrieb ein. Das Saisonende, wie es eigentlich geplant war, fiel ins Wasser. Alle geplanten Premieren und Stücke wurden abgesagt – wegen Corona.

Ganz ohne Abschluss sollte die Spielzeit aber nicht enden. Mit „Alive.Saisonabschluss-20“ feierte das Musiktheater ein kurzes Comeback aus der Coronazwangspause. „Unter Einhaltung aller Distanz- und Hygienevorschriften“, wie es auf der Website des Theater Lübeck hieß, bespielten Sänger*innen und Musiker*innen „ihr leeres Theater, ihr verwaistes künstlerisches Zuhause“.

Vier Regisseure gemeinsam

Die Idee zu dieser Produktion unter Pandemiebedingungen kam von Katharina Kost-Tolmein. Ein Regie- und Choreografie-Team aus gleich vier Regisseur*innen (Jochen Biganzoli, Milo Pablo Momm, Tom Ryser und Lil­lian Stillwell) wirkten an dieser ganz speziellen Produktion mit. Normalerweise seien Regisseure es gewohnt, allein zu arbeiten, sagt Kost-Tolmein. „Hier waren sie plötzlich nicht mehr allein, sondern hatten Mitstreiter neben sich, die am selben Strang zogen, und das war ganz schön.“ Das Stück war ein großer Erfolg.

An nur einem Abend führten die Künstler*innen „Alive.Saisonabschluss-20“ auf. Coronabedingt war nur für etwa 20 Zuschauer Platz. Aber nicht nur die Abstände und Hygienevorschriften waren neu und ungewohnt: Vom gesamten Stück wurde eine zweite, etwas andere Version produziert, die auf dem Youtube-Kanal des Theaters Lübeck zu sehen war und immer noch ist – auch das dank Corona. Zwei Wochen später geht das Theater Lübeck nun in die reguläre Sommerpause. Mit der Aufführung dieser etwas anderen Produktion verabschiedet sich Katharina Kost-Tolmein vom Theater Lübeck.

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