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Archiv-Artikel

Im Kreis gedreht

AUFENTHALT Ein staatenloser Kurde soll in den Libanon reisen, um seine Identität zu klären. Das Verwaltungsgericht hält dies für unnötig, die Ausländerbehörde verlangt es dennoch

Staatenlose Kurden

■ In Berlin leben rund 3.000 bis 4.000 staatenlose Kurden, die in den 1970er Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen sind. Ihre Vorfahren waren mit dem Ende des Osmanischen Reichs aus dem Gebiet der heutigen Türkei in das des heutigen Libanon eingewandert, haben dort aber nie die Staatsangehörigkeit erworben.

■ Bis kurz nach der Jahrtausendwende hatten viele dieser Kurden in Berlin einen Aufenthaltstitel und einen Reiseausweis für Ausländer, ihre Kinder sogar oft die deutsche Staatsangehörigkeit. Seit das Schreckgespenst kurdisch-arabischer Großfamilien in Berlin umhergeht, gründeten das Landeskriminalamt (LKA) und die Berliner Ausländerbehörde die gemeinsame Ermittlungsgruppe (GE) Identität. Die GE Ident hat zum Ziel, Straftaten rund um angebliche Identitätstäuschungen von in der Stadt lebenden Ausländern aufzuklären, die diese zur Erlangung von Aufenthaltstiteln und/oder Sozialleistungen begangen haben sollen.

■ „Fast flächendeckend versucht die GE Ident, diesem Personenkreis nachzuweisen, sie seien keine Kurden aus dem Libanon – sondern türkische Staatsangehörige, die die deutschen Behörden betrogen und belogen hätten“, erklärt Rüdiger Jung vom Republikanischen Anwaltsverein. Dabei berufe sich die Gruppe allerdings auf zweifelhafte türkische Geburtsregister, so der Anwalt. In mehreren Fällen wurde wegen angeblichen Identitätsbetrugs sogar die Einbürgerung zurückgenommen (die taz berichtete). Wer nicht in türkischen Geburtsregistern auftaucht, wird in den Libanon geschickt, um dort auf zweifelhafte Art und gegen viel Geld seine Identität nachzuweisen. (mai)

VON MARINA MAI

Die Ausländerbehörde ignoriere ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts – diesen Vorwurf erhebt die Berliner Anwältin Petra Schlagenhauf. Sie vertritt den 32-jährigen staatenlosen Kurden R., dessen Eltern aus dem Libanon nach Berlin eingewandert sind. R. selbst lebt seit seiner Geburt in Berlin, hat eine deutsche Frau und vier deutsche Kinder.

Die Ausländerbehörde verweigert ihm jedoch die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis um drei Jahre, die ihm als Familienvater einer deutschen Familie zustehen würde. Er soll erst in den Libanon reisen, um dort ein sogenanntes Laissez Passer zu besorgen. Dieses Papier, so die Ausländerbehörde, werde zum Nachweis seiner Identität benötigt.

„Diese Forderung ist völlig sinnlos“, sagt Anwältin Schlagenhauf. „Denn der Identitätsnachweis wird einzig und allein auf der Grundlage der deutschen Geburtsurkunde ausgestellt, die der Ausländerbehörde bereits vorliegt.“ Schlagenhauf spricht von einem „Zirkelschluss“, für den sich viele ihrer kurdischen Mandanten bereits hoch verschuldet hätten. Denn diese, so Schlagenhauf, müssen nicht nur den Flug in den Libanon für einen sinnlosen Behördengang zahlen – sondern dort nach Berichten ihrer Mandanten auch häufig noch für Schmiergelder drauflegen. „Ich halte dieses Vorgehen für reine Schikane“, sagt Schlagenhauf.

So sieht das auch das Berliner Verwaltungsgericht. Die Identität des Kurden sei, so schrieb es in einem rechtskräftigen Urteil vom März, durch seine deutsche Geburtsurkunde nachgewiesen. Dass er kein libanesischer Staatsbürger sei, sei dadurch belegt, dass sein Vater auch keiner ist. Der Ermessensspielraum der Ausländerbehörde, ihm den Weg in den Libanon zuzumuten, sei gleich null, schrieb das Verwaltungsgericht.

Die Ausländerbehörde stellte dem Mann daraufhin zwar endlich den Reiseausweis für Ausländer und ein Aufenthaltsrecht aus. Allerdings: Beides gilt nur ein Jahr lang. Innerhalb dieses Jahres soll R. in den Libanon fliegen und genau den Identitätsnachweis bringen, den er laut Gerichtsurteil nicht bringen muss. Das sei, so schreibt eine Sprecherin der Innenverwaltung der taz, „deswegen erforderlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Laufe der Zeit eine andere Staatsangehörigkeit – insbesondere die libanesische – erworben beziehungsweise festgestellt wurde.“

Die Ausländerbehörde weist den Vorwurf zurück, eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ignorieren: „Das tun wir grundsätzlich nicht.“ Petra Schlagenhauf schüttelt den Kopf. „Wie kann er die libanesische Staatsangehörigkeit annehmen, wenn er in Deutschland lebt? Nach dieser Logik dürften deutsche Behörden grundsätzlich nur Dokumente für eine Gültigkeit von einem Jahr ausstellen, weil jeder Mensch theoretisch eine andere Staatsangehörigkeit annehmen könnte.“

„Ich halte dieses Vorgehen für reine Schikane“

PETRA SCHLAGENHAUF, ANWÄLTIN

Auch ein anderes Thema ist strittig: Die Anwältin ist der Meinung, dass das Gerichtsurteil auch für mehrere hundert andere staatenlose Kurden aus dem Libanon Gültigkeit haben müsste, wenn sie in Deutschland geboren wurden. Darin wird sie von den Grünen unterstützt. Das jedoch weist die Innenverwaltung zurück: „Das Urteil enthält keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen.“

Die grüne Flüchtlingspolitikerin Canan Bayram kündigte allerdings einen Antrag im Abgeordnetenhaus an, der die Innenverwaltung verpflichten soll, das Verwaltungsgerichtsurteil für alle betroffenen Kurden aus dem Libanon umzusetzen, statt sie weiter sinnlos in den Libanon zu schicken. „Ich sehe gute Chancen, dass der Antrag eine Mehrheit findet. Denn SPD-Fraktionschef Read Saleh hat schließlich familiäre Wurzeln im Libanon und wird hier eine Entscheidung nach Augenmaß anmahnen“, sagt sie der taz.

Dieses Augenmaß habe die Innenverwaltung verloren, kritisiert die Grüne, „weil sie sich in die Auffassung hineingesteigert hat, alle Staatenlosen aus dem Libanon zu kriminalisieren. Dabei katapultiert sie sich in eine Argumentation, in der der unwahrscheinlichste Fall eher angenommen wird als die normale Lebenswirklichkeit.“