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Archiv-Artikel

Big Ben mit den starken Nerven

SEGELN Der Brite Ben Ainslie wird zum erfolgreichsten Olympia-Segler aller Zeiten. Vor Weymouth gewinnt er seine vierte Goldmedaille – trotz eines vorletzten Platzes im allerletzten Rennen

VON SVEN HANSEN

Am Ende hat Ben Ainslie wieder einmal die besseren Nerven. Im abschließenden Medaillenrennen der zehn besten Boote am Sonntag, bei dem die Punkte doppelt zählten, lag der britische Finn-Dingi-Segler vor dem bis dahin gesamtführenden Dänen Jonas Hogh-Christensen. Zwar belegte Ainslie in diesem Rennen nur Rang neun, aber der Däne kam auf den zehnten und damit letzten Platz. Damit hatte der Brite den entscheidenden Zweikampf gewonnen.

Denn entscheidender als die Platzierung war für Ainslie im letzten Rennen, dass er unbedingt vor dem 31-jährigen Dänen im Ziel sein musste und der bis dahin drittplatzierte Niederländer Pieter-Jan Postma keine sechs Plätze vor ihm lag. Postma wurde aber nur Fünfter und verlor sogar noch die sicher geglaubte Bronzemedaille. Hätte der Däne im Ziel vor Ainslie gelegen, hätte der Brite seine insgesamt vierte Goldmedaille und damit Historisches verpasst.

Denn mit seiner jetzt vierten Goldmedaille und einer weiteren aus Silber entthronte Ainslie den Dänen Paul Elvström. Der hatte zwischen 1948 und 1960 viermal Gold gewonnen und war bislang erfolgreichster Olympiasegler. An dessen 15 Weltmeistertitel kommt Ainslie mit bisher 11 Titeln noch nicht ran, aber der 35-Jährige hat noch Zeit, auch diesen Rekord zu brechen.

Wieder einmal holte Ainslie den Gesamtsieg einer Regattaserie erst zum Ende. Er braucht oft einige Rennen, um richtig in Fahrt zu kommen, und verliert auch nicht die Nerven, wenn er hinten liegt oder – wie bei den olympischen Regatten 2004 in Piräus – sogar im zweiten Rennen disqualifiziert wurde. „Er behält unter Druck einen kühlen Kopf“, sagt der neuseeländische Finn-Segler Dan Slater über seinen Freund Ainslie. „Er ist einfach so cool unter Druck.“

Kein Segler war bei diesen Spielen mit so hohen Erwartungen konfrontiert wie der britische Segelheld. In seiner Heimat wurde er schon vor diesem Triumph „King Ben“ oder „Big Ben“ genannt. Alles andere als erneutes Gold wäre eine Niederlage für den hoch favorisierten Wundersegler gewesen, der als Erster die olympische Fackel auf britischem Boden tragen durfte. Nach seinem Sieg gab er zu, wie belastend die Erwartungen gewesen seien und wie hoch der Druck am Ende war: „Ich habe noch nie so ein nervenaufreibendes Rennen in meinem Leben gesegelt“, sagte er später an Land.

Ainslie stammt aus Cornwall, wo er mit acht Jahren das Segeln begann. Sein Vater hatte 1973 an der ersten Regatta um die Welt teilgenommen. Bereits mit 16 errang Ainslie junior seinen ersten Weltmeistertitel. 1996 gewann er bei den olympischen Segelwettbewerben in Savannah seine erste Silbermedaille im Laser, 2000 folgte in dieser Einmannjolle Gold. 2004 und 2008 holte Ainslie dann wie jetzt im Finn die Goldmedaille. Für diese anspruchsvollere Einmannjolle hatte er eigens 15 Kilo Körpergewicht zugelegt.

Wenngleich Ainslie jetzt gegenüber seinen Konkurrenten die besseren Nerven behielt, rastet er auch schon mal aus: Bei der Finn-WM im australischen Perth fühlte er sich im vergangenen Dezember durch ein Presseboot behindert. Er enterte es und drohte dem Skipper und einem Kameramann Schläge an. Ainslie wurde disqualifiziert, das hätte ihn fast die Olympiateilnahme gekostet.

Zum Nervenkrieg kam es auch während dieser olympischen Regatta. Am Dienstag hatte Ainslie den Niederländer Postma auf einen Frühstart hingewiesen. Dieser kehrte darauf zur Startlinie zurück und startete als Letzter. Später stellte sich heraus, dass er gar nicht zu früh gestartet war.

Im achten Rennen sah Postma dann, wie Ainslie eine Boje regelwidrig berührte und drohte mit Protest. Der davor liegende Hogh-Christensen signalisierte ebenfalls Protest, worauf Ainslie widerwillig einen Strafkringel drehte und einen Platz verlor. An Land warf er den beiden eine Verschwörung vor: „Sie haben mich wütend gemacht. Und das sollten sie nicht wirklich tun.“

In seiner Heimat, wo manche ihn inzwischen gar als größten Segler seit Admiral Lord Nelson feiern, rechnen die Medien damit, dass Ainslie bald von der Queen zum Ritter geschlagen wird. Er selbst kündigte noch am Sonntag an, seinem Finn „Rita“ den lädierten Rücken zu kehren und sich fortan dem Americas Cup zu widmen. Bei dieser Regatta nationaler Industriesyndikate mit internationalen Profiseglern tritt er zunächst für das amerikanische Oracle-Team an. Ainslies Traum aber ist es, den Pokal nach Großbritannien zurückzuholen – erstmals seit 1851.