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Aus den Ballettschuhen in den Hoodie

Surreale Tanzszenen, viele schöne Hamburgaufnahmen und eine klassisch, aber solide erzählte Coming-of-Age-Geschichte: Stefan Westerwelles Jugendfilm „Into the Beat – Dein Herz tanzt“ erzählt von einer Ballettschülerin, die dem Streetdance verfällt

Von Wilfried Hippen

„In mir glüht alles!“, sagt die junge Balletttänzerin Katya. Aber diese Leidenschaft für das Tanzen packt sie nicht beim klassischen Tanz, sondern als sie beginnt, ihre eigenen Moves beim Streetdance zu entwickeln. Dabei gehört sie der berühmten, natürlich russischen, Ballettdynastie der Orlows an, und Papa Viktor (der Sieger) will aus seiner Tochter eine berühmte Primaballerina machen. Schon früh fällt da der Satz: „Du siehst deiner Mutter immer ähnlicher“ – danach klingeln wohl die Alarmglocken bei den meisten jungen Zuschauer*innen. Und für die ist der Film „Into the Beat – Dein Herz tanzt“ ja gemacht.

Der Film beginnt, als Katya kurz davor ist, an einer renommierten Ballettschule in New York angenommen zu werden. Sie übt brav ihre Pirouetten – bis sie auf dem Heimweg von der Ballettschule zufällig in die Proben einer Streetdancegruppe gerät. Dort beginnt, wie der romantische Nachtitel verspricht, ihr Herz zu tanzen.

Katya trifft Marlon (die Namen sagen hier schon fast alles), eine nette Person of Color. Marlon ist Primoballerino der Tanzgruppe. Bald tanzt sie viel lieber – und besser – mit ihm als in der Klasse der strengen Ballettlehrerin Frau Wolfsblum (!), die von Helen Schneider gespielt wird – also jener US-amerikanischen Sängerin, die in den 1970er-Jahren in Deutschland auf einer Tournee mit Udo Lindenberg Erfolge feierte und seit 2018 in Hamburg lebt.

Im Zimmer von Brando, das mit Fundstücken vollgestopft ist, weil er seine Eltern nicht kennt und sich selber als Fundstück sieht, steht dann auch in einem Regal eine alte Vinylplatte von Helen Schneider. Und Schneider spielt ihre Figur, die von der Anlage her schon sehr nach Klischee riecht, nicht wie erwartet als eine verknöcherte Despotin, sondern als eine leidenschaftliche Künstlerin, für die das Schöne in der Perfektion liegt.

Regisseur und Drehbuch-Koautor Stefan Westerwelle verzichtet also darauf, in seiner Coming-of-Age-Geschichte die guten Jungen gegen die bösen Alten antreten zu lassen. Es gibt gute Gründe dafür, dass Katya weiter auf dem für sie vorgezeichneten Weg Karriere macht. Der Papa ist nach einem Beinbruch kein Sieger mehr („Ich kann nie wieder tanzen“), und als Katya von zu Hause abhaut, um so zu tanzen, wie sie es will, lässt sie ihren kleinen, traurigen Bruder zurück, für den sie der Ersatz für die früh verstorbene Mutter sein muss.

Die Dramaturgie folgt deutlich dem klassischen Muster der Geschichte des flügge werdenden Kükens. Böse gesagt ist also alles sehr vorhersehbar, aber das stört hier nicht weiter, denn Stefan Westerwelle hat einen angenehm entspannten Erzählton gefunden, und die Protagonist*innen sind so einfühlsam gezeichnet, dass auf aufgesetzte Spannungsbögen und überraschende Wendungen gut verzichtet werden kann. Zwei Klischee-Hip-Hopper sorgen für die komischen Ruhepausen, aber selbst diese Karikaturen sind mit ihren schrillbunten Klamotten und dummcoolen Sprüchen sympathisch gezeichnet.

„Into the Beat“ spielt in Hamburg und bei den Außenaufnahmen wird auch heftig mit Drehorten wie den Landungsbrücken aufgetrumpft. Die Innenaufnahmen, also fast alle Tanznummern, wurden dagegen in Leipzig gedreht – mit zwei interessanten Ausnahmen: In der Tradition des Genres der Musikfilme gibt es zwei Showtanznummern, bei denen alle Plausibilität der ansonsten realistisch erzählten Geschichte über den Haufen geworfen wird und die so fast surreal wirken.

Die Dramaturgie folgt dem klassischen Muster der Geschichte des flügge werdenden Kükens. Böse gesagt, ist also alles vorhersehbar

In einer dieser Sequenzen tanzt das gesamte Streetdanceteam ausgelassen und zu lauter Hip-Hop-Musik in einem fahrenden U-Bahnwaggon, ohne dass auch nur angedeutet wird, dass dies eine extreme Belästigung und Einschüchterung der anderen Mitfahrer*innen sein könnte. Und in der zweiten, noch seltsameren Choreographie „entern“ Katja und Marlon ein Frachtschiff im Hamburger Hafen, werden dort von grimmigen Matrosen gejagt, tanzen an Deck so schön, dass die alten Seebären begeistert sind, und dann springen die beiden aus reinem Übermut vom Deck direkt in die Elbe. Da wäre ein pädagogisches „Bitte nicht nachmachen“ wohl angemessen gewesen.

Mit Alexandra Pfeifer in der Rolle der Katya und Yalany Marschner als Marlon hat Westerwelle zwei sympathische Protagonist*innen gefunden, die auch gut genug tanzen können, um das Zielpublikum der tanzbegeisterten Mädchen zu überzeugen.

Entsprechend den Konventionen des Jugendfilms geht es zwischen den beiden übrigens sehr keusch zu. Katja schläft zwar eine Nacht in Marlons Zimmer, aber der zeigt ihr dort wirklich nur seine Sammlung von Fundstücken. Erst im Schlussbild gibt es dann einen Kuss, bei dem selbst der Vater sich keine Sorgen machen muss.

Ein schöner Regieeinfall besteht darin, dass die ganze Geschichte auch über die Haare von Katya erzählt wird: In den ersten 20 Minuten des Films sieht man sie nur mit einem streng gebundenen Ballerina-Dutt. Bei der ersten Begegnung mit Marlon löst sie diesen zu einem Zopf. Später verbirgt sie die Frisur unter Marlons Wollmütze und hochrebellisch der Kapuze ihres Hoodies. Und erst wenn sie schließlich ganz so tanzen kann, wie sie will, trägt sie ihr Haar offen. An solchen Details erkennt man eine gute Regie.

„Into the Beat – Dein Herz tanzt“. Regie: Stefan Westerwelle. Mit Alexandra Pfeifer, Yalany Marschner, Trystan Pütter, Helen Schneider u. a., D 2020. 98 Min.

Der Film läuft ab heute in den Kinos.

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