: Die Apfelzerstörerin
Valeria Merlini alias JD Zazie macht eine ureigene Mischung aus Improvisationsmusik und DJing. Beim Heroines-of-Sound-Festival ist sie heute im Livestream zu sehen und zu hören
Von Jens Uthoff
Der Proberaum von Valeria Merlini ist fast so eingerichtet, als wolle sie an Ort und Stelle ein Konzert geben: In der Raummitte hat die italienische Experimentalmusikerin, die sich als Künstlerin JD Zazie nennt, auf einem Tisch einen Plattenspieler, zwei DJ-Mediaplayer und einen Soundmixer aufgebaut. Daneben liegt ein kleines Aufnahmegerät – für sie ein nicht ganz unwesentliches Werkzeug, denn sie arbeitet viel mit Field Recordings, also Straßen- und Naturaufnahmen.
JD Zazie, die sportliche Klamotten trägt und passend zum Setting zwei Vinylscheiben-Ohrringe („geschätzte 3“) trägt, hat gerade geprobt. Zum Interview hat sie in ihren Arbeitsraum in einem alten Industriegebäude an der Grenze von Friedrichshain zu Lichtenberg geladen. Als sie sich nun auf eine kleine Bank nahe beim Fenster setzt, erzählt sie als Erstes, wie es ihr in der Coronazeit ergeht: „Die meisten Auftritte wurden natürlich gecancelt. Erst jetzt fangen einzelne Locations wieder an, Konzerte mit wenigen Zuschauern zuzulassen.“ Eigentlich gebe sie auch Workshops für Kinder an Schulen, mache mit ihnen Klangexperimente und verdiene damit ihr Geld. „Das ist aber monatelang komplett ausgefallen“, sagt sie. Sie habe Soforthilfe erhalten, somit sei sie – vorerst – auf der sicheren Seite.
Am Freitag wird JD Zazie beim Heroines-of-Sound-Festival im Radialsystem auftreten. Es ist die siebte Ausgabe des Festivals, das sich ausschließlich und ausgiebig den Frauen in der experimentellen und elektroakustischen Musik widmet. Initiatorin Bettina Wackernagel will damit die von Männern dominierte Musikgeschichtsschreibung geraderücken. Das Heroines of Sound muss in diesem Jahr ohne Publikum auskommen, dafür wird das Festival aber in der Reihe „United We Stream“ bei Arte Concert übertragen.
Festival Heroines of Sound, heute, ab 19 Uhr, live bei Arte Concert und auf unitedwestream.berlin. Ein Themenschwerpunkt in diesem Jahr ist 100 Jahre Theremin, Dorit Chrysler und Donna Maya werden das Instrument gebührend würdigen. Außerdem live: Alexandra Cárdenas, Midori Hirano und The Liz.
www.heroines-of-sound.comJD Zazie: „Memory Loss“ (Burp Publications)
JD Zazie ist bereits zum zweiten Mal nach 2016 mit dabei. Sie kuratiert in ihrer Heimatstadt Bozen ein ganz ähnlich ausgerichtetes Festival namens “MuseRuole – Women in Experimental Music“. Den Rahmen so eng zu wählen und sich auf Musikerinnen zu konzentrieren sei zwar ein Risiko, aber sie hält es weiterhin für geboten: „Es finden einfach zu wenige Frauen in der Musikgeschichte Erwähnung. Selbst Komponistinnen wie Éliane Radigue und Beatriz Ferreyra mussten lange warten, bis ihre Arbeit anerkannt wurde.“
In der Berliner Experimentalszene war JD Zazie vor Corona omnipräsent, sie trat sehr häufig in den hiesigen Clubs auf. Geboren ist Merlini 1973 in Bozen in Südtirol, wo sie auch aufwuchs. Von 1989 an moderiert sie eine Radiosendung, in der sie sich Jazz und improvisierter Musik widmet. Anfang der Neunziger geht sie nach Florenz, studiert dort Architektur und kommt mit der Improvisationsszene in Kontakt. So lernt sie etwa das Burp-Enterprise-Kollektiv und das damit verbandelte Duo Jealousy Party (Roberta Wjm Andreucci und Mat Pogo) kennen, das heute ebenfalls an der Spree residiert. Unter dem Alias JD Zazie beginnt sie in den Neunzigern Musik zu machen. 2006 zieht sie nach Berlin, um Sound Studies an der Universität der Künste zu studieren. Nicht zuletzt die starke internationale Improvisations- und Echtzeitmusik-Szene sind später ein Grund für sie zu bleiben. „Und heute“, sagt sie, macht eine Pause und lacht, „bin ich immer noch hier.“
Die Musik von JD Zazie zu beschreiben ist gar nicht so einfach. Ein Spiel mit Frequenzen bestimmt ihren Sound. Rein technisch macht sie live eine Mischung aus Improvisationsmusik und DJing (das „JD“ im Künstlernamen soll wohl darauf anspielen, auch wenn sie sagt, man könne sich aussuchen, wofür die Buchstaben stehen). Sie nimmt ihre eigenen aufgenommenen Stücke – zum Beispiel eben Field Recordings – und bearbeitet sie live neu. „Äpfelzerstörer-Methode“ hat sie das mit dem ihr eigenen Humor mal genannt, wobei ihre Musik so unterschiedlich klingt, als ob sie mal die feine Obstmesserklinge, dann die Apfelreibe und dann wieder den Thermomixer bevorzugt. Sie setzt Techniken der Musique concrète ein, daraus entstehen Noise- und Droneklänge oder auch „Störgeräusche“. Sie selbst sei ein großer Noisemusik-Fan, so möge sie etwa die Japaner Otomo Yoshihide und Hair Stylistics oder die Berliner BNSU. Privat höre sie aber auch viel anderes, „Funk, Soul, Jazz, Impro, Rock, Neue Musik, HipHop und und, und …“
Beim Festival wird JD Zazie Stücke von ihrer gerade erschienenen CD „Memory Loss“ live interpretieren. Ein „Loss“, ein Verlust, stand auch zu Beginn des Projekts, als sie haufenweise Material auf einer Hard Disk verloren hatte und versuchte, diese Dateien wiederherzustellen. „Damit muss man doch etwas machen“, habe sie sich gedacht und hat aus der Wiederherstellung neue Sounddateien erstellt. Da knistert und knarrt es, da fiept und flirrt es, da knirscht und quietscht es.
Ob ihr Material den Hörer manchmal auch absichtlich anstrengen soll? „Meine Sounds dürfen sich gern im Spannungsfeld zwischen Lust und Unlust bewegen, genauso wechsle ich mit meinen Klängen gern zwischen Erkennbarkeit und Unerkennbarkeit“, sagt JD Zazie, „zu anstrengend soll es auf ‚Memory Loss‘ für den Hörer aber auch nicht werden.“ Aber herausfordernd, das darf ihre Musik sein. Und sie wird es sicher auch bei ihrem heutigen Auftritt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen