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Schabernack mit KI

Amnesia Scanner, heißt es, macht Welterklärungskunst. Dabei bereitet es dem Duo diebisches Vergnügen, Popsongs zu komponieren, in denen Reggaeton, Trap und Grunge in bombastische Soundkathedralen aufgehen

Die spinnen, die Finnen: Amnesia Scanner Foto: VIlle Kallio

Von Andreas Hartmann

Im Vergleich zu dem unheimlichen Wesen, das Amnesia Scanner auf dem Cover ihres neuen Albums „Tearless“ abgebildet haben, ist Chucky die Mörderpuppe ein süßer kleiner Fratz. Dem Ding wurden die Lippen mit zig Sicherheitsnadeln getackert, die Augen sind weit aufgerissen – diabolisch grinsend scheint es irgendwie durchs Weltall zu schweben, während ihm gerade das Gesicht wegschmilzt. Das poppige Splatter-Cover weist ganz gut die Richtung, in die es auch beim Sound der beiden in Berlin lebenden Finnen Martti Kalliala und Ville Haimala geht, die sich als Duo Amnesia Scanner nennen. Und zwar, um dystopisch anmutende Hau-drauf-Elektronik, vor der man Angst bekommen kann, bei der aber gleichzeitig der Spaß an der Sache nicht zu kurz kommt. Reggaeton, Trap, sogar Grunge, alles wird in den bombastischen Soundkathedralen, die hier zu hören sind, mitverhandelt. Am Ende kommt man tatsächlich bei Popsongs raus, die das Format von drei Minuten möglichst nicht überschreiten.

Was soll das Anagramm?

Die Finnen von Amnesia Scanner machen schon seit einer Weile gemeinsam Musik. Früher nannten sie sich Renaissance Man, unter dem Namen produzierten sie leicht verspulten Techno. Die beiden Produzenten versteckten sich zu der Zeit noch hinter ihrer Musik, gaben keine Interviews, zeigten auf Pressefotos ihre Gesichter nicht. Alte Techno-Schule. Dann erfanden sie sich als Amnesia Scanner, ein Anagramm aus Renaissance Man. Was Amnesia Scanner bedeuten soll, weiß kein Mensch, ein Geheimnis mehr, dafür sind die beiden Finnen etwas zugänglicher geworden. Wenn es sein muss, reden sie auch schon mal über ihr künstlerisches Schaffen.

Seit Corona hat man sich an die komplexen Sounds des Duos gewöhnt

Ihr Debütalbum erschien vor zwei Jahren und es hatte bereits alles von dem, was nun auch „Tearless“ ausmacht. Ein überwältigendes Sounddesign, das klingt, als hätte eine Cyborg-Version des Wall-of-Sound-Großproduzenten Phil Spector ihre Finger im Spiel gehabt. Und vor allem hörte man auch da schon den ausufernden Einsatz des KI-Sprachprogramms Oracle, das die Gesangsparts in den unglaublichsten Frequenzen zwitschern lässt. Egal, ob in Tracks wie „AS Tearless“ oder „AS Aca“, in denen die peruanische Sängerin Lalita zu hören ist, oder in „AS Going“, in dem die brasilianische DJ Lyzza singt: Oracle pitcht, dehnt, zerhackstückelt die Stimmen ununterbrochen.

Die menschliche Artikulation verschwindet, wird ausgelöscht, daraus machen Amnesia Scanner eine Erzählung. Als ein „Schlussmach-Album mit der Erde“ wollen sie ihr Werk verstanden wissen, als Vertonung eines Zustands, in dem der drohende Kollaps immer gegenwärtiger wird. „Conceptronica“ nennt der britische Popjournalist Simon Reynolds derartige Versuche, elektronische Musik weniger für fürs Tanzen zu kreieren, sondern sie mit KI-Diskursen oder sonstigen Zustandsbeschreibungen einer digitalisierten Welt aufzuladen. Diese Art von Elektronik suche gar nicht mehr den Weg in den Club, sondern biedere sich eher an Kunstdiskurse an.

Ob das wirklich der passende Sound zur Coronakrise ist, wie auch behauptet wird? Die Clubs haben sowieso geschlossen, Dancefloor hat Pause, da komme eine Art von Elektronik, die mehr will, als bloß Tanzende zu unterhalten, gerade recht. Und wenn man dann wieder irgendwann raven darf, wird man die etwas komplexeren Sounds, an die man sich während Corona gewöhnt hat, vielleicht gar nicht mehr missen wollen.

Man soll davon Angst bekommen, aber den Spaß nicht vergessen

Bevor man jetzt aber das selbstbehauptete Konzept hinter „Tearless“ zu ernst nimmt, bleibt fest zu halten, dass die beiden von Amnesia Scanner zu sehr Prankster sind, um ihnen derart auf den Leim zu gehen. Man merkt ihrer Musik förmlich an, wieviel Schabernack damit getrieben wird. Wieviel Freude es dem Duo gemacht haben muss, sein Sprachprogramm Oracle schier durchdrehen zu lassen.

Für die Nummer „AS Flat“ haben sie sich noch ein paar Gitarrenriffs von der Pittsburgher Hardcore-Band Code Orange geborgt und in „AS Labyrinth“ kommt dann noch irgendwann lupenreines Metal-Geballer zum Einsatz. Damit wird schon klar, dass die beiden nicht ins Feuilleton wollen.

Amnesia Scanner: „Tearless“ (PAN/Al!ve)

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