: Teint first, Bedenken second
Okay, Maskentragen nervt, aber wenn’s Leben rettet, kann man sich das auch mal zumuten. Da könnte ein Innenminister mit gutem Beispiel vorangehen und Zeichen setzen. Thomas Strobl aber fremdelt mit allem, das die Sicht auf sein solar veredeltes Antlitz blockiert.
Von Minh Schredle↓
„Maskenpflicht ist Körperverletzung!“, skandierten einst Widerstandskämpfer gegen die von ihnen empfundene Corona-Diktatur, aber was die schlimmste Konsequenz der obrigkeitsstaatlich aufoktroyierten Freiheitsberaubung ist, das haben sie verschwiegen: Wer denkt eigentlich an die Bräunungsstreifen, die ein Corona-Sommer in den Gesichtern hinterlassen wird?
Wenigstens Baden-Württembergs Innenminister agierte in ästhetischer Hinsicht präventiv: Im Gegensatz zum Großteil der KollegInnen in der Landesregierung, die sich medienwirksam mit Maske präsentierten, verzichtete Thomas Strobl bei öffentlichen Auftritten bislang meist auf das Accessoire. Bei der schwierigen Güterabwägung zwischen Bevölkerungsschutz und einem guten Look musste der oberste Mann für die öffentliche Sicherheit im Südwesten Prioritäten setzen: erst der Teint, dann die Risikogruppe.
Generell zeigte sich im politischen Betrieb rund um das Maskentragen, dass Erwachsene eben auch nur Kinder sind. Angefangen hat die ganze Chose – wie könnte es anders sein! – mit einem heimatverbundenen Bayern, der seine Liebe zum Freistaat der ganzen Welt zeigen musste, und zwar in Form einer blau-weißen Alltagsmaske.
Nachdem der Söder eine Bayern-Maske hatte, brauchte sein Südschienen-Buddy Kretschmann natürlich eine für Baden-Württemberg. Und inzwischen kann sich kein Politiker, der etwas auf sich hält, mehr blicken lassen, ohne durch einen Schriftzug oder eine Stickerei am Mund-Nasen-Schutz zu verdeutlichen, wofür er steht.
Zu den skurrilsten Sichtungen im baden-württembergischen Landtag gehört in diesem Sinne Heinrich Fiechtner (Ex-AfD, Ex-CDU, Ex-FDP). Der für seine unflätigen Provokationen berüchtigte Abgeordnete, selbst ein Arzt und umtriebig auf den Stuttgarter Querdenker-Demos, trug im Plenum ein löchriges Häkeldeckchen im Gesicht, um zu verdeutlichen, was er von der Empfehlung hält, aus Rücksicht auf andere Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Unklar ist, warum er nicht zu einer – unter Gesichtspunkten des Infektionsschutzes sicherlich ähnlich effektiven – Hannibal-Lecter-Maske gegriffen hat, die noch ein bisschen besser zu ihm passen würde.
„Schlimm, dass manche Ignoranten nicht nur sich selber, sondern andere gefährden, etwa Familien und ältere Menschen“, sagt, genau, Thomas Strobl über Corona-Sünder. Und zwar Mitte Mai, als er selbst noch regelmäßig ohne Maske unterwegs war. Inzwischen – vielleicht haben sich Parteifreunde oder Regierungspartner den Innenminister (natürlich mit ausreichend Abstand) zur Brust genommen? – ist aber auch der Heilbronner bekehrt: Von Podien herab redet er zwar immer noch lieber ohne Mund-Nasen-Schutz. Doch wenigstens auf dem Weg zu den Pressekonferenzen trägt er nun einen. Hoffen wir nur, dass er sich im Sommer noch ohne sehen lassen kann.
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