: Nicht mehr nur geduldet
Eher für als gegen Geduldete entscheiden: Mit dem Modellprojekt „Wege ins Bleiberecht“ versuchen Flüchtlingsrat und Stadt Hannover, das Elend der Kettenduldungen zu mildern
Von Nadine Conti
Im Sommer 2015 hat der Bundestag eine Neufassung des Paragrafen 25 des Aufenthaltsgesetzes beschlossen. Quasi als Ausgleich für erleichterte Abschiebungen sollte damals für schon lange Geduldete eine Perspektive geschaffen werden – sofern sie ihren Integrationswillen hinreichend bewiesen hatten.
Nach acht Jahren – für Menschen mit Kindern schon nach sechs Jahren – sollte es unter bestimmten Bedingungen eine Chance auf einen dauerhaften Aufenthalt geben. Zu diesen Bedingungen gehörten zum Beispiel Deutschkenntnisse, ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz, die Fähigkeit den eigenen Lebensunterhalt zumindest teilweise selbst zu erwirtschaften.
Auf um die 30.000 Menschen schätzte man damals den Personenkreis, der dafür in Frage kommen könnte. Tatsächlich haben in den vier Jahren danach gerade einmal 4.437 Menschen eine solche Aufenthaltsgenehmigung erhalten, sagt der Flüchtlingsrat Niedersachsen. Auch Pro Asyl hat die Regelung immer wieder als ineffektiv kritisiert.
Nun gibt es in Hannover einen weiteren Versuch, dem Ganzen auf die Sprünge zu helfen. „Wege ins Bleiberecht“ heißt das Modellprojekt. Es wird durchs niedersächsische Sozialministerium gefördert. Die Stadt Hannover ist als Kooperationspartner im Boot, Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) unterzeichnete die entsprechende Vereinbarung schon im Mai.
Das Projekt versucht, an zwei Punkten anzusetzen: Einerseits bei der Beratung und Betreuung der Betroffenen, andrerseits bei den Ausländerämtern. Für die soll es künftig eine Art Leitfaden geben, der dafür sorgt, dass die Ermessensspielräume eher für und nicht gegen die Geduldeten genutzt werden.
Rund 450 Menschen sind allein in der niedersächsischen Landeshauptstadt betroffen, sie leben seit sechs Jahren oder mehr mit in einer prekären Lebenssituation, mit kurzfristigen Duldungen, die laufend erneuert werden müssen.
Wie dieser Umstand dann selbst zu einem Integrationshindernis wird, versucht Olaf Strübing, der das Projekt – neben Anna-Maria Muhi – für den Flüchtlingsrat betreut, am Beispiel eines seiner Beratungsfälle aus Göttingen deutlich zu machen: Der Mann reist im Februar 2016 aus Liberia ein. Schon anderthalb Jahre später, im August 2017, gelingt es ihm, eine Ausbildungsstelle als Maler und Lackierer zu bekommen.
Doch im Dezember 2018 wird sein Asylantrag abgelehnt. Er erhält nun nur noch wochen- oder monatsweise Duldungen und wird aufgefordert, an der Beschaffung eines Passes mitzuwirken, wie das Gesetz es vorsieht. Nur mit einem Pass kann er abgeschoben werden. Als sich die Beschaffung der Papiere aus dem Heimatland verzögert, wird ihm das zur Last gelegt. Im August 2019 wird ihm für einen Monat die Beschäftigungserlaubnis entzogen.
Anschließend erhält er wieder eine Duldung für drei Monate, arbeitet weiter. Doch sechs Monate vor dem Abschluss der Ausbildung geht der Betrieb pleite. Mithilfe einer Beraterin schafft er es, einen neuen Ausbildungsbetrieb zu finden – doch der zögert, ihm einen Vertrag zu geben, als er die bald ablaufende Duldung vorlegt.
Das, sagt Strübing, sei insofern ein typischer Fall, weil sich manche Probleme schon hätten vermeiden lassen. Eigentlich hätte der Mann nämlich eine Duldung über die Dauer der Ausbildung erhalten können.
Die Ausländerbehörden prüfen in der Regel aber nicht, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen. Das tun sie nur auf Antrag oder vor einer Abschiebung – weil sie dann ohnehin dazu verpflichtet sind.
Auch die Beschaffung von Papieren aus dem Heimatland ist regelmäßig ein Problem. Die Betroffenen müssen dabei in angemessenem Rahmen und entsprechend ihrer Möglichkeiten mitwirken, heißt es im Gesetz. Aber ob sie das getan haben oder nicht, bewertet jeder Sachbearbeiter anders.
Denn die Rechtslage ist zudem kompliziert, neben dem Aufenthaltsgesetz auf Bundesebene gibt es ein halbes Dutzend Erlasse auf Länderebene, in denen diese Angelegenheiten geregelt sind.
Mit dem Modellprojekt „Wege ins Bleiberecht“ soll nun zweierlei versucht werden, erklärt Strübing. Einerseits wird es eine intensivere Zusammenarbeit zwischen dem Flüchtlingsrat, der Ausländerbehörde, der Beratungsstelle Hargah sowie den weiteren Hannoverschen Beratungsstellen geben, in der auch Einzelfälle besprochen werden. Erklärtes Ziel: Die Anzahl der Langzeitgeduldeten um mindestens 30 Prozent zu reduzieren.
Andrerseits versucht man, aus diesen Einzelfällen abzuleiten, worin die größten Hürden auf dem Weg ins Bleiberecht bestehen. Das Projekt ist auf drei Jahre befristet. Die Ergebnisse sollen dann, hoffen die Macher, auch für andere Kommunen nutzbar sein.
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