: Belasteter Grenzverlauf
Kein Wohlfühl-Programm: Wilfried Haukes NDR-Dokumentation „Das unsichtbare Band“ nimmt das deutsch-dänische Verhältnis an der Grenze in den Blick
Von Wilfried Hippen
Noch laufen neue Fernsehproduktionen in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Viele Filme werden sie dieses Jahr nicht produzieren, aber weil die Herstellungsplanung und Programmierung bei den Sendern meist eher langfristig ist, wird die absehbare Schwemme an Wiederholungen wohl erst mit dem Sommerloch beginnen. So gibt es am Freitagabend im NDR-Fernsehen mit „Das unsichtbare Band“ erst noch mal die Erstausstrahlung einer Dokumentation.
Für seine 60 Minuten „Grenzgeschichten von Dänen und Deutschen“hat der Kieler Filmemacher Wilfried Hauke ein Jahr lang das ungewöhnliche Verhältnis zwischen Dänen und Deutschen an deren gemeinsamer Grenze untersucht. Speziell ist dieses Verhältnis schon deshalb, weil der genaue Grenzverlauf vor 100 Jahren durch zwei Volksabstimmungen bestimmt wurde: 1920 konnten etwa die Flensburger wählen, ob ihre Heimatstadt deutsch bleiben oder dänisch werden sollte. Die Dänen in den Arbeitervierteln der Südstadt unterlagen den Deutschen, die eher in den bürgerlichen nördlichen Stadtgebieten wohnten. Geschichten wie diese bebildert der Film mit gut ausgesuchtem Archivmaterial, doch der überwiegende Teil der Dokumentation besteht aus neuen, offensichtlich im vergangenen Sommer bei schönem Wetter gedrehten Aufnahmen.
Bei den vielen Luftaufnahmen spürt man den Einfluss der erfolgreichen „Von oben“-Dokumentationen. Um den vielen Himmel und all das Grün interessanter zu machen, fliegt ein pensionierter Pilot, der an der Grenze wohnt, immer wieder mit seinem historischen Doppeldecker durchs Bild – auch von oben gefilmt. Zu erzählen hat der Flieger nicht viel, ansonsten beweist Hauke aber ein gutes Händchen bei der Auswahl seines Personals. Die Geschichten der Auftretenden vermitteln so auch einen guten Eindruck davon, was es ausmacht, etwa zur deutschen Minderheit im südlichen Dänemark zu gehören.
So wie Stephan Kleinschmidt, der sich als Bürgermeister in einer dänischen Gemeinde und als Abgeordneter im schleswig-holsteinischen Landtag als „politischer Brückenbauer“ versteht. Die Pastorin Signe von Oettingen wiederum gehört zur dänischen Minderheit in Deutschland und ist mit einem deutschen Pastoren verheiratet. Beide arbeiten in entsprechend unterschiedlichen Gemeinden. Da ist dann das Private auch das Politische und Hauke gelingt es, dies in seinen kleinen, mit viel Einfühlungsvermögen inszenierten Porträts herauszuarbeiten.
Hauke macht auch deutlich, wie das Verhältnis zwischen Dänen und Deutschen durch die Vergangenheit belastet ist. Nicht durch die Erinnerung an die Schlacht an den Düppeler Schanzen im Jahr 1864, die in der kollektiven Erinnerung der Dänen eine wichtige Rolle spielt. Aber dass die deutsche Minderheit in Dänemark im Zweiten Weltkrieg weitgehend mit den Nationalsozialisten sympathisierte und den Anschluss an das deutsche Reich forderte, haben ihr die Dänen später lange übelgenommen.
Die nationalen Ressentiments schienen lange überwunden, die offene Grenze war meist so gut wie unsichtbar, aber seit der sogenannten Flüchtlingskrise gibt es wieder Grenzkontrollen und seit dem Dezember 2019 trennt sogar wieder ein Grenzzaun die beiden Länder: Er ist 1,50 Meter hoch und soll Wildschweine abhalten – um die Verbreitung der afrikanischen Schweinepest in Dänemark zu verhindern. Aber für viele Grenzbewohner, Dänen wie auch Deutsche, symbolisiert er die Veränderungen des politischen Klimas.
Hauke hat dafür ein stimmiges Sinnbild gefunden: einen pensionierten dänischen Zollbeamten, der die alte Grenzschranke an einer längst stillgelegten Übergangsstelle frisch bemalt – in den dänischen Nationalfarben Weiß und Rot. Mit solchen kleinen Widerhaken sorgt er dafür, dass der Film mehr ist als einfach nur eine weitere der in den dritten Programmen so beliebten regionalen Wohlfühl-Dokus.
„Das unsichtbare Band. Grenzgeschichten von Dänen und Deutschen“: Fr., 12. Juni, 20.15 Uhr, NDR-Fernsehen
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