piwik no script img

Zum Trost seines irdischen Publikums

Der karibische Maler Frank Walter ist in Frankfurt zu entdecken, wird aber von einem postkolonialen Diskurs überdeckt

Frank Walter, o. T., o. J. Foto: Axel Schneider/MMK

Von Katharina J. Cichosch

Noch bevor man den ersten Frank Walter zu Gesicht bekommt, steht ein anderes Kunstwerk im Fokus: Den Aufgang zur ersten Halle säumen Palmengewächse. Doch ist dies keineswegs als tropische Themendekoration gemeint, sondern, naheliegend, Kunst. Marcel Broodthaers Installation „L’Entrée de l’exposition (Catalogue – Catalogus), 1974“ greife, so liest man, den Ausstellungsraum als Formierung von Macht auf – und mit ihm Fragen nach dem Eigenen und dem Anderen und wie jenes ebenda geframt wird.

Die Behauptung einer Auseinandersetzung belegt natürlich noch keine Erkenntnisleistung. Ist dies hier also vorangestellte, subversive Kritik am exotisierenden Blick oder gerade dessen Wiederholung? Und was, wenn ein unbedarfteres Publikum das dann doch schlicht als schöne Abwechslung im White Cube empfindet?

Erst 2017 hatte die Kunstwelt von Walter in einem größeren Rahmen Notiz genommen. Damals präsentierte der Karibikstaat Antigua und Barbuda Arbeiten des 2009 verstorbenen Künstlers mit einer Biografie, die hier nur bruchstückhaft wiedergegeben werden kann: Geboren 1926 als Nachfahre schwarzer Sklaven und weißer Sklavenhalter, in guten Verhältnissen aufgewachsen, in den 1950er Jahren erster schwarzer Plantagenbesitzer vor Ort. Kurz danach bereist Walter Europa, wird mit dem für ihn überraschenden Rassismus in Großbritannien konfrontiert, arbeitet in Deutschland (wo es ihm besser gefällt) im Bergbau, leidet immer wieder unter Halluzinationen, kehrt nach einigen Jahren zurück in die Karibik und flüchtet vor dem aufkommenden Tourismus in die Berge Trinidads.

Rund 5.000 Werke jeglichen Mediums hat er quasi nebenbei geschaffen, einige Hundert hiervon sind nun in „Frank Walter. Eine Retrospektive“ im Frankfurter MMK zu sehen. Mit Betonung auf „sehen“ – die Symphonien, die Walter unter anderem zu Ehren des Rheins komponiert hat, wird man hier leider nicht zu hören bekommen (warum eigentlich?).

Frank Walter war kein akademisch ausgebildeter Künstler, das Label Outsider Artist versucht die Schau offenbar zu umgehen. Er malte auf allem – Dachpappe, Lino­leum, Sperrholz, Schallplattenhüllen. Oft genug Szenen in der Nacht oder zu einer Zeit, wenn die Nacht gerade hereinbricht oder die Insel noch nicht ganz verlassen hat. Dass die Farbe oft absäuft, direkt in den Malgrund einsickert, trägt sein Übriges zur tiefen Finsternis bei, die Walters Landschaften anhaftet. Undurchdringliches Palmendickicht mündet direkt in einen düsteren Horizont.

Neben Wäldern, Palmenhainen und Meereshorizont malt Walter Alltagsszenen mit Menschen, oft nah herangezoomt: die Beine einer schwarzen Ballerina; ein Hemd mit Fliege. Die Bilder entwickeln ihren Reiz gerade in ihrer simplen, oft grafischen Strukturierung. Ein gespenstisches Gesicht stellt sich als Selbstporträt des Malers als weißer Mann heraus. Der Schrecken hallt nach. Daneben: abstrakte Bildreihen, mal grafischer Natur, mal fantastisch-kosmologische Konstruktionen.

Frank Walters Malereien werden hier nun zahlreiche Werke an die Seite gestellt: Neben Broodt­haers Palmen-Installation Werke von John Akomfrah, Rosemarie Trockel, Isaac Julien und einigen weiteren. An manchen Ecken des an Winkeln und Ecken nicht armen Museums droht Walters Kunst „im Dialog“, wie es im Untertitel heißt, so regelrecht zu verstummen.

Das ist zum einen der reinen Physis geschuldet und auch der nicht einfachen Architektur des MMK. Walters Bilder sind oft ausgesprochen klein, kaum für den Ausstellungsraum produziert. Groß aufgezogen hingegen die Arbeiten der anderen: eine wunderbare Installation von Julien Creuzet zum Beispiel, der zeitgenössisches White-Cube-Cool aus poetisch inszenierten Fundstücken der karibischen Inseln schafft. Dominierend aber wirken vor allem zahlreiche Arbeiten von Videokünstler:innen, viele davon umfangreich, bei bestem Sound und vielen Sitzplätzen – was überall sonst eine dankbare Abwechslung zur noch immer stiefmütterlichen Behandlung von Videokunst im Ausstellungskontext darstellen würde. In direkter Gegenüberstellung aber ergeben sich unglückliche Konstellationen. So finden sich einige Dutzend dieser kleinen Bilder in der Mitte eines größeren Saals, wo sie von beiden Seiten beschallt und überlagert werden.

Vielleicht hätte das Wagnis „mehr Walter“ lauten müssen

Naheliegend werden Walters Biografie, sein zeitweiliger Anflug von Größenwahn, in dem er sich als Abkömmling des britischen Königshauses imaginierte, seine Romantisierung Europas, mit der karibischen Kolonialgeschichte und rassistischen Zuschreibungen in Bezug gesetzt. Die Frequenz, mit dem hier in stets selbstkritisch sich gebender, postkolonial geschulter Diskursmanier auf die Bilder des karibischen Malers geblickt wird, lässt jene streckenweise wie Illustrationswerk wirken. Walter persönlich schien eher ein untergeordnetes Interesse an der Auseinandersetzung mit Zuschreibungen, sogar einige dem akademischen Diskurs entgegenstehende Ansichten zu pflegen. Wenn seine Kunst hier aber nicht zuletzt der Vergewisserung der kuratorischen Diskurshoheit diente – würden Broodthaers Palmen dann zur unfreiwilligen, nicht schon ad hoc mitgedachten selbsterfüllenden Prophezeiung?

Das verriete dann doch wieder einiges übers Dilemma eines westlich geprägten Kunstkanons, in den sich etliches eben nicht so ohne Weiteres widerspruchsfrei einebnen lässt. Das Privileg, erst einmal als Künstler an sich wahrgenommen zu werden, wird Frank Walter jedenfalls so nicht zuteil. Die Zuschreibungen, denen er selbst in der Kunst ja gerade entfliehen wollte, suchen ihn hier wieder heim (in der Zeit schrieb Hanno Rauterberg vom „Diskurs-Dekor“, als das sich der Künstler allerdings nur sehr bedingt eigne).

Vielleicht hätte das Wagnis „mehr Walter“ lauten müssen – all die Widersprüche reinnehmen, seine Aussagen nicht nach Gutdünken mal hochstilisieren, dann vorsorglich entschuldigen. Vor allem aber: mehr Kunst. Hier lohnte einiges den genauen Blick. Die grafischen Arbeiten, die bisweilen an Hilma af Klint erinnern. Die tropischen Landschaften, die Gestus und Farbgestaltung mit Bildern des in Trinidad lebenden Schotten Peter Doig gemein haben. Und dann könnte man sich vorstellen, wie die kosmologischen Bilderwelten von Betye Saar an einem ungenannten Ort in der Galaxie die Umlaufbahnen von Frank Walters Planeten kreuzen.

Im Katalog notiert Barbara Paca, wie sich Walter selbst die Präsentation seiner Werke erträumte: „Eine choreografierte Reise durch sein gesamtes Werk“ schwebte dem Künstler vor, mitsamt Kompositionen und Gedichten; die Kunst als verbindendes Element, zur Erbauung und zum Trost seines irdischen Publikums. Beginn täglich um 20.30 Uhr. Vorzugsweise im Bergwerk, auf einem Kreuzfahrtschiff, in einer psychiatrischen Anstalt oder einer Jugendherberge.

Bis 15. November, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, Katalog (Koenig Books) 39,80 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen