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Archiv-Artikel

IRA schickt Kämpfer in Rente

Nordirische Untergrundarmee will Waffen abgeben und zum Friedensprozess zurückkehren. Unionisten bleiben misstrauisch

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Seit gestern Nachmittag um 16 Uhr ist die Irisch-Republikanische Armee (IRA) nur noch ein Veteranenverein. Die Organisation, deren Waffenstillstand mit einer kurzen Unterbrechung seit 1994 besteht, erklärte, dass sie den bewaffneten Kampf einstellen und mit der Entwaffnung fortfahren, sich aber nicht auflösen werde. „Allen IRA-Einheiten ist befohlen worden, die Waffen niederzulegen“, heißt es in der Erklärung. „Alle Freiwilligen sind instruiert worden, der Entwicklung rein politischer und demokratischer Programme durch ausschließlich friedliche Mittel zu dienen.“

Außerdem werden IRA-Repräsentanten Kontakt mit der Internationalen Abrüstungskommission unter Leitung des kanadischen ehemaligen Generals John de Chastelain aufnehmen, um die Ausmusterung der Waffen, die bereits vor Jahren begonnen hat, so schnell wie möglich zu Ende zu führen und so „das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken“. Die IRA hat einen katholischen und einen protestantischen Pfarrer als Zeugen für das Zerstören der Waffen eingeladen.

Der bewaffnete Kampf sei völlig legitim gewesen, aber nun gebe es eine Alternative, um die britische Herrschaft in Nordirland zu beenden. „Die Entscheidung ist nach einem langwierigen internen Diskussionsprozess getroffen worden“, schreibt die IRA in ihrer Erklärung. „Das Ergebnis dieser Konsultation war eine sehr große Unterstützung unter den IRA-Freiwilligen für die Friedensstrategie von Sinn Féin.“ Der politische Flügel der IRA, Sinn Féin („Wir selbst“), ist Anfang des Jahres stark unter Druck geraten, weil eine IRA-Einheit bei einem Bankraub in Belfast 26,5 Millionen Pfund erbeutet hat. Außerdem waren sowohl Leute von der IRA als auch Sinn Féin an der Ermordung von Robert McCartney beteiligt. Der Sinn-Féin-Sympathisant war nach einem Streit in einer Belfaster Kneipe regelrecht aufgeschlitzt worden. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sagte gestern, die IRA-Erklärung sei eine Herausforderung für beide Bevölkerungsteile Nordirlands sowie für die Regierungen in London und Dublin. „Ich appelliere an alle, sorgfältig zu lesen, was die Armee zu sagen hat, und vereint und standhaft zu bleiben“, sagte Adams an die Mitglieder von Sinn Féin und IRA gerichtet.

Der britische Premierminister Tony Blair bezeichnete die IRA-Erklärung als „Schritt einzigartiger Größenordnung“. Das sei „vielleicht der Tag, an dem der Frieden den Krieg ersetzt“, fügte er hinzu. Als besonders erfreulich bezeichnete Blair das Versprechen der IRA, auch allen anderen Aktivitäten abzuschwören, was ein „Ende krimineller Machenschaften“ bedeute. Der irische Justizminister Michael McDowell meinte dagegen, dass sich die IRA auflösen müsse, bevor Sinn Féin in eine Mehrparteienregierung eintreten könne.

Die Mehrparteienregierung und das Belfaster Regionalparlament, die nach Unterzeichnung des Belfaster Abkommens vom Karfreitag 1998 eingerichtet wurden, sind 2002 suspendiert worden, weil die IRA angeblich potenzielle Angriffsziele auskundschaftete. Bei den Wahlen zwei Jahre später sind Sinn Féin auf katholischer Seite und die Democratic Unionist Party (DUP) des Pfarrers Ian Paisley auf protestantischer Seite zu den stärkste Parteien geworden, während die gemäßigten Parteien nahezu bedeutungslos wurden.

Paisley weigerte sich jedoch, sich mit Sinn-Féin-Vertretern in einem Raum aufzuhalten, geschweige denn, über die Bildung einer Regierung zu reden. Die Verhandlungen im vorigen Jahr auf Schloss Leeds bei London, bei denen Boten zwischen DUP und Sinn Féin vermitteln mussten, scheiterten, weil Paisley darauf bestand, dass die Abrüstung der IRA fotografiert werden müsse. Die IRA lehnte das als „Versuch der Demütigung“ ab. Gestern sagte Paisley: „Was auch immer die IRA in ihrer Erklärung sagt – es zählen nur Taten, keine Worte. Wir hoffen, dass die britische Regierung das genauso sieht.“

Die IRA-Erklärung hatte sich bereits am Vorabend angedeutet, als die britische Regierung den IRA-Mann Sean Kelly freiließ, der 1993 wegen eines Bombenanschlags zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war. Außerdem war Martin McGuinness, der Stellvertreter von Adams, vorgestern nach Washington gereist, um US-Präsident George Bush über die bevorstehende IRA-Erklärung zu informieren.