: Kopfarbeit taugt nicht zur Ware
ARBEIT Wissen ist das Rohmaterial der gegenwärtigen Ökonomie – mit weitreichenden Folgen. Der Band „Kognitiver Kapitalismus“ feiert die revolutionäre Macht des Wissens und denkt Marx’ Wertgesetz neu
Fallen wir gleich mit der Tür ins Haus: Die kapitalistische Ökonomie des 21. Jahrhunderts läuft nicht über Waren, sondern über Wissen. Doch Wissen ist immateriell und folgt nicht der klassischen Definition einer Ressource; es ist per se nicht knapp, jeder kann es sich aneignen, es ist nicht ein Mittel, sondern auch Zweck. Weil Wissen der heute wichtigste Rohstoff ist, aber nicht wirklich zur Ware taugt, steckt in der Wissensproduktion das revolutionäre Potenzial, die herrschenden Prinzipien des Kapitalismus auszuhebeln.
Der kleine Band „Kognitiver Kapitalismus“, herausgegeben von Isabell Lorey und Klaus Neundlinger, stellt sich die zentrale Frage: Wie kann Wissen Wert schaffen, wie sieht das von Marx so schön benannte „Geheimnis der Plusmacherei“ im 21. Jahrhundert aus?
Der Band versammelt Übersetzungen italienisch- und französischsprachiger AutorInnen aus dem postoperaistischen Umfeld und macht damit eine Diskussion zugänglich, die hierzulande noch nicht breit rezipiert ist. Ganz in Marx’scher Tradition versuchen die AutorInnen, nicht die bloße Mechanik der Ökonomie zu erklären, sondern ihre innere Logik. Sie fragen nach dem „Wesen“ des Wissens und versuchen von dort aus eine Bestimmung des gegenwärtigen wissensbasierten Kapitalismus vorzunehmen.
Kämpferische Attitüde
Der instruktivste Text des Bandes stammt von Enzo Rullani. Rullani beschreibt Wissen als eine anormale Produktionsressource. Die klassische Ökonomie geht von technisch umsetzbarem Wissen, Marktmechanismen und Nutzenkalkül aus. Doch Wissen funktioniert anders, es verbraucht sich nicht, im Gegenteil wird es wertvoller, je mehr es zirkuliert. Gerade die Verbreitung des Wissens fungiert als Quelle des Profits, lautet Rullanis These. Es ist also kontraproduktiv, Kognitives unter klassische Marktbedingungen zu zwingen.
Gigi Roggero zeigt in seinem Text, wie Unternehmen versuchen, Wissen künstlich zu verknappen, um den Marktwert zu halten. Das Kapital, so die paradoxe Einsicht, fördert nicht das Wachstum, sondern schränkt es ein.
Antonella Corsani betont, dass Konsumption von Wissen zugleich immer auch produktiv ist. In wissensbasierten Gesellschaften lassen sich die Sphären der Produktion und Konsumption, der Arbeitszeit und Lebenszeit nicht mehr wirklich trennen. Ein wesentlicher Grundsatz des marxistischen Wertgesetzes wird damit obsolet: Arbeitszeit kann nicht mehr als Wertindikator dienen.
Die Thesen des Bandes sind auf wohltuende Weise radikal, und sie provozieren Widerspruch. Denn sie ruhen auf teilweise recht eigenartigen Annahmen, wie etwa der fraglosen Euphorie eines totalen Wissenswachstums (bräuchte man im Feld des Wissens nicht auch so etwas wie Nachhaltigkeit?) oder auf einem sehr einfachen Vertrauen aufs Immaterielle, als ob nicht auch der kognitive Kapitalismus auf sehr materialintensiven Grundlagen ruhen würde.
Der heikelste Punkt aber ist die Weigerung, Wissen als Ware zu sehen. Dass Wissensproduktion „nicht dem Fluch sinkender Erträge“ unterliege, wie im Buch behauptet, kann man angesichts der gegenwärtigen Dumpingpreise für Wissensinhalte nicht behaupten. Man müsste überlegen, ob Marx’ Modell der materiellen Warenproduktion nicht doch noch einiges an Erklärungskraft auch für die Funktionsweise des wissensbasierten Kapitalismus enthält.
Es gibt also viel zu diskutieren, und obwohl die klassenkämpferische Attitüde in manchen Texten recht platt daherkommt, ist „Kognitiver Kapitalismus“ ein wichtiger Theoriebeitrag, auch für die Urheberrechts- und Commons-Debatte. ANDREA ROEDIG
■ Isabell Lorey, Klaus Neundlinger (Hg.): „Kognitiver Kapitalismus“. Aus dem Englischen, Französischen und Italienischen von Therese Kaufmann und Klaus Neundlinger. Turia + Kant, Wien 2012, 156 S., 15 Euro