piwik no script img

Archiv-Artikel

Euro um jeden Preis?JA

KOSTEN Die Europäische Zentralbank kauft Staatsanleihen in Milliardenhöhe. Auch in Zukunft will sie alles tun, um den Euro zu retten

nächste frage

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante

Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Katja Kipping, 34, Parteivorsitzende der „Linken“ und sozialpolitische Sprecherin

Was denn sonst? Interessant wäre übrigens zu wissen, ob die „gute, alte D-Mark“ in Deutschland auch so sehnsüchtig bejammert würde, wenn der Umrechnungsfaktor zwischen Euro und Altwährung ein wenig komplizierter wäre. Abgesehen davon ist die sogenannte gefühlte Inflation empirisch auch längst widerlegt. Glaubt wirklich irgendjemand, dass es keine globale Finanzkrise gebe, wenn wir statt des Euro wieder einen Haufen nationaler Währungen hätten? Wäre es für die Finanzbranche nicht wesentlich leichter, gegen nationale Währungen zu spekulieren, statt gegen eine Gemeinschaftswährung, in der gut ein Viertel der weltweiten Geldreserven angelegt ist? Oder ist das Wüten der amerikanischen Ratingagenturen gegen einzelne Eurostaaten – und damit gegen den Euro – in Zeiten knapper werdender Ressourcen nicht vielmehr eine neue Form des Krieges, nämlich um die Vorherrschaft auf den Rohstoffmärkten? Ich finde, wir sollten beim Kaputtreden des Euro nicht noch selbst mitmachen.

Gerhard Illing, 56, ist Professor für Makroökonomie an der LMU in München

Man muss immer klaren Kopfes Kosten und Nutzen abwägen. Wir sollten deshalb genau überlegen, was es kosten würde, den Euro nicht zu retten. Sein Zusammenbruch hätte einen massiven Wirtschaftseinbruch und steigende Arbeitslosigkeit gerade auch in Deutschland zur Folge. Umgekehrt könnte eine Rettung des Euro günstiger kommen, als viele Rechnungen derzeit suggerieren. Durch stärkere Solidarität könnte Europa endlich wieder auf Wachstumskurs gebracht werden. Die Rettungsmaßnahmen bieten die Chance, in Europa dauerhaft stabile gemeinsame Strukturen aufzubauen. Der Euro muss gerettet werden. Aber natürlich nicht um jeden Preis.

Stefano Fassina, 46, Ökonom und Oppositionspolitiker im Partito Democratico ItaliensWir retten den Euro derzeit, weil er Voraussetzung ist, aus der Währungsunion auch eine politische Union zu schaffen. Die aber sollte innerhalb der 17 Euroländer nicht einfach entstehen, damit der Euro gerettet werden kann. Sondern andersrum: Der Euro muss gerettet werden, damit die politische Union entstehen kann. Eine einheitliche Währung hat angeborene Mängel, das hat Sigmar Gabriel (SPD) neulich in seiner glänzenden Analyse gezeigt. Natürlich muss jedes Land für seinen Haushalt verantwortlich sein und Schulden zurückzahlen. Doch klar ist auch: Wenn der Euro in Gefahr ist, ist die Europäische Union in Gefahr. Eine schwache EU wäre ein unverzeihlicher historischer Fehler: Sie böte den nationalistischen Populisten in jedem Land eine Plattform. Wir Europäer haben die moralischen, intellektuellen und ökonomischen Ressourcen, um die kommenden Herausforderungen zu bestehen.

Axel Schäfer, 60, ist bei der SPD im Bundestag Vizefraktionschef für EuropaUnser Land profitiert wie kein anderes von der europäischen Integration, beim Wohlstand zum Beispiel. Der Euro ist nicht nur eine Währung, er ist ein zentraler Baustein der EU-Integration. Mit der Rückkehr zur D-Mark wären wir den Schwankungen der spekulativen Devisenmärkte ausgesetzt. Der Euro kann aber nur mit gemeinsamer Politik funktionieren – also einer politischen Union.

NEIN

Dieter Hildebrandt, 85, ist politischer Kabarettist und steht der SPD naheOb die Europäische Zentralbank nun ohne unsere Zustimmung Anleihen kaufen oder aufkaufen darf oder nicht, und ob diese Anleihen faul sind oder unfaul, ist meiner Meinung nach nicht mehr das Problem. Dringender wird sein, Millionen Menschen einen Weg zu zeigen, wie sie wieder aus dem Loch herauskommen, in das sie von den Zockerbossen der Banken hineingestoßen wurden. Sie werden erdrosselt werden von den Zinsen für die Schulden. Es hilft nicht, ihnen die Zinsen für die Zinsen der Schulden zu senken. Man muss ihnen die Schulden senken. Es wird ein großes Geschrei geben. Um Gottes Willen, was wird dann mit den Banken passieren? Sicherlich wird es einigen an den Kragen gehen. Aber wenn es sich um die handelt, die die gegenwärtigen Krisen verursacht haben, wird es nicht die falschen treffen. Sie zocken unbeirrt weiter. Was zum Beispiel bedeutet diese Meldung: „Der ZBK (Zentralbankrat, oberstes Organ der EZB; Anm. d. Red.) senkt die Sicherheitsbestimmungen für Kredite“? Noch mehr? Die sind doch bereits versenkt. Der Bankmensch drängt seinen Kunden Geld auf, das ihm nicht gehört. Warum? Weil er dafür Geld kassiert, das ihm aber dann gehört. Aber der ZBK geht noch weiter: „Man kann riskante Immobilienkredite als Pfand hinterlegen für Kredite.“ Man kann also ein wackliges Papier als Pfand hinterlegen für ein faules. Sagt der ZBK. Weiß das die EK? Die Europäische Kommission? Und die ESKG? Und der VKB? Der Verband Klammer Banken? Und der VBK? Der Verband Beschissener Kunden? Und der Rettungsschirm? Und der Rettungsfonds? Und der Fiskalpakt? Und die Märkte? Und der ESSF, der ESM, der EZB, FSKG, ADAC und AOK? Wie heißt das Unkraut, das sich um Menschen und Häuser wickelt wie Schlinggewächse? EFEU. Was ist das nun wieder? Richtig: Efeu.

Frank Schäffler, 43, Abgeordneter der FDP, stimmte im Bundestag gegen den ESM

Die Rettungseuropäer fordern den Einsatz immer neuer Mittel, etwa eine Bankenunion, Staatsanleihenkäufe oder die Banklizenz für den ESM. Sie tun dies aus Angst vor einem Zusammenbruch. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber für politisches Handeln, sie führt zu Flick- und Stückwerk. Dies belegen immer neue Ideen für immer neue Krisenherde. Stattdessen sollte sich gute Politik in Not- und Krisenzeiten auf bewährte Prinzipien verlassen. Rechtsstaatlichkeit und Ordnungspolitik sind nämlich keine Schönwetterveranstaltungen, sondern für Krisen gemacht. Erinnern wir uns an die Nichtbeistandsklausel, die Kontrolle der Regierung durch das Parlament, die Unabhängigkeit der Notenbank und das Subsidiaritätsprinzip. Lassen wir das marktwirtschaftliche Verlustprinzip gelten und Staats- und Bankinsolvenzen endlich wieder zu! Die Aufgabe dieser Prinzipien ist der Preis, den die Rettungspolitik abverlangt. Ich finde ihn zu hoch.

Heiko Eberz, 40, ist Kaufmann und kommentierte unsere Frage per E-Mail Der Euro muss sterben, damit die europäische Idee weiterleben kann. Versucht man, den Euro bis zum bitteren Ende zu retten, seine Krise immer weiter zu verlängern, bis er dann schließlich doch zerbricht, dann wird auch die EU daran zerbrechen. Beschließt die Eurozone jedoch, gemeinsam und abgestimmt das Experiment Euro zu beenden, dann haben die gegensätzlichen Positionen in der Eurofrage keine Sprengkraft mehr. Die europäischen Nationen können ihre Probleme dann wieder mithilfe einer nationalen Geldpolitik in Angriff nehmen. Es wird keine Gewinner und Verlierer geben.