berliner szenen: Respecting our schöne Gegend
Kurz nach dem Lockdown tauchten plötzlich diese braunen Pappschachteln auf. Als ich zum ersten Mal zwei Leute auf dem Mäuerchen gegenüber mit so einem eckigen Ding zwischen sich sitzen sah, hielt ich es für ein aufklappbares Schachbrett. Stimmte aber nicht; das Ding war ein Pizzakarton. Das Lokal nebenan hatte begonnen, außer Haus zu verkaufen. In diesen Zeiten haben Restaurants einen Standortvorteil, die sich neben einer Grünanlage befinden. Mit gekauftem Essen im Dreck zwischen öffentlichen Büschen zu sitzen, wie es die Leute bei uns in der Gegend gern tun, ist ja erlaubt.
Bei schönem Wetter sahen wir nun vor allem am Wochenende die Spontanskulpturen aus Pappschachteln neben den zu kleinen Mülleimern wachsen. Niemand schien je auf die Idee zu kommen, seinen Pizzakarton mitzunehmen, wenn der Mülleimer voll war. Im Gegenteil: Je höher ein Stapel ist, desto mehr reizt es ja, noch eine Schachtel draufzulegen, sich danebenzustellen und ein Selfie zu machen. Einmal machte auch ich von oben ein Foto, als ich abends sah, wie malerisch die über zwei Meter hohe Schachtelskulptur jenes Tages von der Gaslaterne beschienen wurde. Am nächsten Morgen waren die Schachteln über den ganzen Gehweg verstreut, was weniger malerisch aussah.
Als Nebeneffekt des Phänomens wurden wir neugierig, wie der hochpreisige Touri-Teigfladen von nebenan schmeckt, und machten uns auf zum Testkauf. Zwar war die Pizza dick mit Mozzarella belegt, aber der Rand schwarz verbrannt. Immerhin durften wir sie problemlos umtauschen. Übrigens steht neben der Warteschlange inzwischen ein Schild: „Please respect our beautiful neighbourhood“ steht darauf, „do not leave your pizza box on the street.“ Seitdem sind die Pappskulpturen etwas kleiner geworden. Katharina Granzin
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