In Bildern dichten

Die Filmemacherin Helga Fanderl ging mit ihren Super-8-Filmen Ereignissen in der Natur und rhythmischen Abläufen nach.Nach langen Pariser Jahren lebt sie heute in Berlin. Ein Porträt

Helga Fanderl mit ihrem Material Foto: Ériver Hijano

Von Michael Freerix

Helga Fanderl ist eine der profiliertesten Experimentalfilmerinnen ihrer Generation. In ihren kurzen, analogen Super-8-Filmen zeigt sie eine Wirklichkeit, die wie verzaubert wirkt. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wie zum Beispiel dem Preis der deutschen Filmkritik (1998) oder dem Hessischen Kulturpreis (2000). Fanderl ist Bildpoetin, die ursprünglich Dichterin werden wollte. Die poetische Kraft des experimentellen Films entdeckte sie erst mit Anfang 30. Zu übermächtig waren bis dahin die Literatur und das geschriebene Wort.

Alles hat 1947 mit ihrer Geburt in Ingolstadt begonnen. Durch Begabtenförderung und mit viel eigenem Willen ausgestattet, gelang es ihr, Anfang der 60er Jahre das Abitur zu machen und für das Studium der Germanistik und Romanistik nach München zu ziehen. Mit ihren permanenten Schreibversuchen war sie nie zufrieden. Zwar ging sie gerne ins Kino, doch Film war etwas Fremdes, Fernes. Nach Etappen in Bologna und Paris ließ sie sich schließlich als Lehrerin in Frankfurt nieder. Aus Neugier nahm sie Anfang der 80er Jahre an einem Film-Workshop teil – und entdeckte den analogen Super-8-Film als Medium für sich.

Die eigenartige Farblichkeit des Filmmaterials in Verbindung mit der beinahe flächigen Räumlichkeit des Bildes regten ihre kreativen Instinkte ungemein an. Obendrein konnte man die 3,5 Minuten langen Filmstreifen in leicht handhabbaren Plastikkartuschen kaufen und diese leicht in die dazugehörige vollautomatische Kamera einlegen. Die Kamera war leicht und frei wie ein Pinsel zu bedienen.

Von Anbeginn ihres künstlerischen Weges ist Helga Fanderl von Ereignissen in der Natur, zwischen Menschen oder von rhythmischen Abläufen fasziniert. Sie ist der Meinung, nicht „ich entdecke das zu Filmende, sondern das zu Filmende entdeckt mich“. Wenn sie im Filmprozess ist, gerät sie in einen „sinnlichen Zustand“ intensiver Konzentration und Begeisterung, der ganz von ihr Besitz ergreift. Entscheidungen werden aus dem Moment heraus gefällt. Es gibt keinerlei Vorstellung von dem fertigen Film. Jeder ihrer mehr als tausend kurzen Filme entstand aus dem unmittelbaren Schaffensmoment heraus.

Doch trotz der intuitiven Herangehensweise sind ihre Arbeiten von einer einprägsamen Formsprache gekennzeichnet. Sie erklärt, das habe mit dem Rhythmus des durch die Kamera ratternden Films zu tun, während sie diesen belichtet. Dieses Rattern bestimmt, wie lang und wie häufig sie auf den Auslöser der Kamera drückt. Es gibt zu ihren Filmen auch keine künstlich hergestellte Tonebene. Bei der Vorführung ihrer Programme gehört das Geräusch des durch den Projektoren laufenden Films dazu. Dieses vermischt sich mit den Bildern, mit den Bewegungen im Bild. Fanderl führt ihre jeweils neu zusammengestellten Arbeiten am Projektor eigenhändig vor. Dazu braucht sie spannende Örtlichkeiten. Häufig sind dies Galerien, doch hat sie bereits an vielen unkonventionellen Orten projiziert, einmal sogar im leeren Rumpf eine Frachtkahns.

Intuitiv und aus dem Moment heraus, wie Helga Fanderl ihre Filmemacherei beschreibt, ist diese doch von einer eindeutigen Formsprache gekennzeichnet. Sie erzählt von der gläsernen Kuppel eines Vogelgeheges, das sie faszinierte. Regelmäßig ging sie dorthin, um zu filmen, wie die Vögel ihre Runden unter der Kuppel zogen. Die Bäume im Käfig und außerhalb, die Vögel in ihren Bewegungen, die Struktur des stählernen Rahmens, in dem das Glas der Kuppel eingesetzt war, als Hintergrund: das alles ergab ein zwingendes filmisches Bild für Fanderl. Über Tage und Wochen ging sie dorthin, bis sich die Vögel so schwungvoll bewegten, dass sie zu filmen sich lohnte. Solche Filmsituationen stellt sie aber auch willentlich her.

Nach der Jahrtausendwende lebte sie für einige Jahre in Paris. In Berlin wohnt sie noch keine fünf Jahre. Immer träumte sie davon, einmal auf einem Binnenschiff mitzufahren, um das Treiben an Bord, auf dem Wasser und das Vorbeiziehen der Landschaft in eine filmische Arbeit umwandeln zu können. Nach Monaten gelang es ihr schließlich, eine Schifferfamilie zu finden, die sie, „auf eigene Gefahr“, wie der Schiffsführer sagte, mitnahm. Diese Reise dauerte nur zwei Tage und wurde trotzdem zu einem einschneidenden Erlebnis in ihrem Leben. Und aus der Schifferfamilie wurden später Freunde.

Der analoge Umkehrfilm, der in der Kamera belichtet, im Kopierwerk entwickelt und anschließend vom Projektor auf eine Leinwand projiziert wird, ist in den vergangenen Jahren beinahe gänzlich vom Markt verschwunden. Auf weitaus billigere digitale Techniken umzusteigen kam für Fanderl nie infrage. Dies würde bedeuten, eine klar bestimmbare, künstliche Ästhetik durch die Anwendung von technischem Wissen herzustellen. Das wäre das Gegenteil ihres Ansatzes.

Und überhaupt: ihre analogen Filme sind Unikate, die bei jeder Vorführung ein paar Schrammen mehr bekommen. Die Zeit schreibt sich ihnen ein. Sorgfältig aufbewahrt, können diese noch in 100 Jahren betrachtet werden. Was wird dann von der digitalen Bilderflut unserer Gegenwart noch sichtbar sein?

Helga Fanderl auf DVD: „Fragil(e)“ (Lowave)

auf vimeo: www.vimeo.com/52141386