berliner szenen: Wie es früher so war
Ich schaffe es endlich, meine Bibliothek aufzuräumen. Die Bücher thematisch, nach Sprachen oder mal auch nach Farben und Größe zu sortieren, das macht Spaß. Aber vor allem ist es schön, vergessene Sachen wiederzufinden. Ich hatte einige Erinnerungsstücke aus meiner Kindheit mitgebracht, als ich das letzte Mal in meiner Heimatstadt Buenos Aires war, und so habe ich plötzlich eine Anthologie in der Hand, die 1992 mit Erzählungen von Schüler*innen veröffentlicht wurde.
Ich hatte mitgemacht und über meinen Opa geschrieben. Das Thema war „Wenn Großeltern erzählen“. Meinen Text brauche ich nicht zu suchen, denn merkwürdigerweise kenne ich ihn noch fast auswendig. Ich öffne das Büchlein an einer Seite und lese eine Erzählung eines Mädchens mit dem Titel „Ein Traum“. Sie situiert sich im Jahr 2015 (also damals in der Zukunft) und beschreibt einen Traum, der im Jahr 1992 spielt. Verrückt, denke ich und lese dann weiter. Sie schreibt, dass sie 2015 als Sekretärin lebt (ihr Traumberuf) und von ihrer Oma träumt. Sie sitzt bei ihr am Küchentisch, trinkt Kakao und unterhält sich mit ihr. Draußen zwitschern die Vögel, es ist Sommer in einem Vorort, den ich gut kenne.
Die Oma erzählt ihr, dass sie auch Sekretärin werden wollte, doch sie heiratete und „wie es früher so war“ wurde aus ihr „nur eine Hausfrau“. Berührt gehe ich zum Rechner und google den Namen der Autorin und finde nichts. Zuerst bin ich irritiert, wie jedes Mal, wenn eine Person im Netz nicht zu finden ist. Doch danach denke ich, dass es vielleicht besser ist, niemals zu erfahren, was für ein Leben sie führt, ob sie damit glücklich ist, was aus ihr geworden ist. Ich hoffe aber heimlich, dass sie keine Sekretärin geworden ist, sondern Schriftstellerin und sie der Welt noch mehr solche fantastischen Geschichten schenkt. Luciana Ferrando
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