: Schöne Bilder für den Shutdown
Der Norden aus der Luft betrachtet: „Die Nordsee von oben“ und „Die Ostsee von oben“ sind jetzt bei Netflix im Programm
Von Wilfried Hippen
Eine Frage des Preises: Weil Kamera-Dronen so günstig geworden sind, gibt es beinahe in jedem Dokumentarfilm inzwischen Luftaufnahmen, die noch vor Kurzem viel zu aufwendig gewesen wären. Und das so regelmäßig, dass solche Bilder beinahe schon wieder zu einem stilistischen Klischee zu werden drohen – vergleichbar etwa mit den Zeitrafferaufnahmen von ziehenden Wolken oder Sonnenauf- und -untergängen: Bildern also, die sich gute FilmemacherInnen heute verkneifen. Eine echte Attraktion waren gestochen scharfe, nicht verwackelte Flugaufnahmen dagegen in den frühen 2010er-Jahren. So erklärt sich die Welle der „Von oben“-Filme, die zwischen 2011 und 2014 mit erstaunlichem Erfolg zunächst die Programmkinos füllten und sich danach auch auf DVD gut verkauften.
Sozusagen die Blaupause war 2011 „Die Nordsee von oben“ von Silke Schranz und Christian Wüstenberg; zu sehen ist er jetzt bei Netflix, ebenso der Nachfolger „Die Ostsee von oben“ von 2013. Die FilmemacherInnen hatten sich zuvor mit Reisefilmen aus Portugal und Neuseeland einen Namen gemacht, zuletzt veröffentlichten sie im Frühjahr 2020 „Spitzbergen – auf Expedition in der Arktis“ (taz berichtete). Eigentlich sind Schranz und Wüstenberg ihre eigenen Kameraleute und erzählen in Tagebuchform möglichst subjektiv von ihren Reisen. Bei den Arbeiten zu Nord- und Ostsee aber haben sie, abgesehen von ein paar computeranimierten Reiserouten-Sequenzen, keine einzige Aufnahme selber fotografiert.
Stattdessen bedienten sie sich im Fundus von Luftaufnahmen der Firma Vidicom; entstanden sind sie zum größten Teil im Auftrag von Fernsehsendern. Die Kameramänner Peter Bardehle und Klaus Stuhl arbeiteten dafür mit einer einst für den amerikanischen Geheimdienst CIA entwickelten Kamera; diese ermöglicht erstaunlich gute Aufnahmen aus sehr großer Entfernung. Sie wurde kreiselgelagert unter einen Hubschrauber montiert, was Ruck- und Schüttelbewegung ausgleicht – so sind ruhende Perspektiven, sanft fließende Schwenks und ruhige Zooms möglich. Da Vidicom in Deutschland konkurrenzlos arbeitete und grandiose Bilder lieferte, waren ihre Auftragsbücher voll und bald gab es kaum eine attraktive Landschaft oder Stadtansicht im Land, die sie noch nicht von oben gefilmt hatten.
Schranz und Wüstenberg erkannten dann das Potential dieses Bilderschatzes: Sie montierten daraus jeweils eine imaginäre Reise an den deutschen Küsten entlang; einmal von Emden nach Sylt, einmal von Flensburg nach Usedom. Christian Wüstenberg kommentierte dazu in einem anheimelnd norddeutschen Plauderton. Bei den Aufnahmen vom Flug über die kleinste Stadt Deutschlands – Arnis im Kreis Schleswig-Flensburg – bringt er einen zentralen Reiz solcher Filme so auf den Punkt: „Jeder Arniser kann jetzt sein Haus von oben sehen!“
Entstanden sind die Bilder durchweg im Sommer, und so zeigen die „Von oben“-Filme Strand und Fischerboot, Hafenanlage und Naturschutzgebiet bei idyllischem Schönwetter. Die Stadtansichten sind eine Feier der norddeutschen Backsteingotik, und ansonsten scheint der Norden vor allem von TouristInnen oder WindsurferInnen bevölkert zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen