: Eine verdrängte Utopie
Das Brecht-Haus widmete sich Irmtraut Morgner, deren Romane fast verschollen sind. Als ob ihr Traum von der Emanzipation auf immer Fragment bleiben müsste
„Als Hero fünfzig Jahre alt war, ging sie wohin und schnitt sich einen Mann aus den Rippen. Massenmedien stürzten sich auf das Ereignis. Dem kapitalistischen Lager Verpflichtete schlachteten es aus, behauptete Grete. Dem sozialistischen Lager verpflichtete warten auf Klärung des Sachverhalts. Die Untersuchungen wären noch nicht abgeschlossen, hätten aber inzwischen erwiesen, dass das Ergebnis veraltet sei.“ Mit diesen Worten beginnt das „Das heroische Testament“ von Irmtraud Morgner. Es wäre, hätte sie das Manuskript vollenden können, der dritte Band einer Trilogie geworden, die mit dem „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“ und „Amanda. Ein Hexenroman“ Morgners Weltruf begründete.
Mit einem Vortrag des Schweizer Schriftstellers und Germanisten Rudolf Bussmann, der die Fragmente des dritten Bandes 1998 herausgegeben hat, ging am Freitag im Literaturforum im Brecht-Haus eine Morgner-Woche zu Ende. Carola Opitz-Wiemers, verantwortlich für das Programm, dankte Bussmann, dass er die Fragmente der „Deponie des Vergessens“, von der Morgner im Romanmanuskript sprach, entrissen hat. Die anschließende Diskussion war etwas peinlich, denn das Einzigartige der Veranstaltungsreihe war dem Publikum nicht wirklich bewusst. Während einige von einer historisch-kritischen Werkausgabe träumten, andere weitere Manuskripte herausgegeben wissen wollten, nahmen sie nicht zur Kenntnis, von welchem Skandal Bussmann kurz zuvor gesprochen hatte. Morgners Werke nämlich sind bis auf „Amanda“ nicht nur nicht lieferbar, auch eine Neuausgabe ist nicht absehbar. Damit aber wird diese Autorin, deren Werk Bussmann zu Recht nicht als Teil der DDR-Literatur, sondern als Teil der Weltliteratur verstanden wissen wollte, noch einmal zum Verstummen gebracht.
Schon deshalb kann Bussmanns Arbeit als heroisch gelten: Aus über 250 Mappen mit insgesamt 130.00 Manuskriptseiten hat er den Roman, so weit möglich, rekonstruiert. Er ist ein Kenner des Werks, bereits 1992 edierte er Morgners als verschollen geltenden Roman „Rumba auf einen Herbst“, der 1965 erscheinen sollte, doch in letzter Minute aus dem Programm des Aufbau-Verlags entfernt wurde. Morgner, bis dato eine linientreue DDR-Schriftstellerin, hatte mit „Rumba auf einen Herbst“ erstmals zu ihrer Form und ihrem Thema gefunden. Teile des Buches legte sie später in die „Trobadora Beatriz“ ein. „Die Emanzipation der Frauen ist ohne eine Emanzipation der Männer nicht möglich“, meinte Morgner. Daher galt: „Ein Sozialismus aber, der die Männervorherrschaft nicht abschafft, kann keinen Kommunismus aufbaun.“ Das ging den DDR-Männern dann doch zu weit.
In seinem Vortrag erlaubte Bussmann einen Blick in die Arbeitsweise Morgners. Eine Schwierigkeit bei der Edition ist Morgners nahezu unentzifferbare Handschrift, wie eine Diaprojektion bewies. Morgner sammelte Zeitungsausschnitte, Gesprächsnotizen und ausformulierte Romanteile in Kladden, schichte diese um ihren Schreibtisch herum auf und schichtete das Material in diesen Kladden auch ständig wieder um, sodass es Bussmann nicht möglich war, Textteile verlässlich zu datieren.
Nur die ersten hundert Seiten des „Testaments“ hatte Morgner selbst in Reinschrift verfasst und als „Fragmente vom dritten Band der Salman-Trilogie“ geordnet. „Wird der Ernst so groß, dass die Schmerztränen versiegen, ist höchste Zeit, Tränen zu lachen“, liest man in diesen Fragmenten. Die Schriftstellerin wusste, dass sie es nicht mehr schaffen würde, den Roman zu vollenden, der Krebs raubte ihr die Kräfte. Anfang des Jahres 1990 zeichnete sich ab, dass sie nur noch wenige Wochen leben würde. Bussmann wurde von ihr davor gewarnt, den Roman „zu vollenden“, Morgner habe niemandem eine solche Arbeit zumuten wollen. Doch als er damit beschäftigt war, den Nachlass zu ordnen, sei ihm bewusst geworden, dass nur diejenigen, die sie kannten, in der Lage seien, wenigstens annähernd aufzuzeigen, was dieser Roman hätte werden können.
JÖRG SUNDERMEIER