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Archiv-Artikel

Auf roten Teppichen

Manchmal ist es schöner, vor der Tür von allem, was möglich wäre, zu träumen, als irgendwo hineinzugehen

Eigentlich wollten wir zu J.G. Thirlwell aka Foetus in das NBI. Thirlwell ist ein Überlebender des New Yorker Postindustrial der Achtziger. Muss einiges hinter sich haben, der Mann, doch dafür, dass er damals Teil dieser kaputten Szene rund um Richard Kern, Lydia Lunch und andere Schockschwerenöter war, sieht er noch erstaunlich frisch aus. Das ganze war als Record-Release-Party angekündigt, obwohl die neue Foetus-Platte schon seit Monaten erhältlich ist. Passiert ist dann auch nicht viel. Alex Hacke hat Platten aufgelegt, Thirlwell auch, und der seit kurzem in Berlin lebende Electronicat hat eines seiner Livesets zum Besten gegeben.

Wahrscheinlich hätten sich sämtliche Beteiligten aber auch live von einem echten Affen tätowieren lassen und währenddessen Dixieland auf Nasenflöten spielen können, man wäre wohl trotzdem lieber vor dem NBI herumgestanden, als sich innen gegenseitig den Schweiß von der Stirn zu tupfen. Es war einfach zu schwül und definitiv Draußenwetter.

Die Berliner scheinen die Vorteile des Draußenrumstehens erkannt zu haben. Deswegen war nicht nur im NBI nichts los, sondern überall in Prenzlauer Berg bot sich einem dasselbe Bild: In den Clubs und Kneipen lief irgendetwas, aber dennoch standen alle lieber davor. Das Rumstehen vor der Tür bietet ja auch nur Vorteile. Man ist viel flexibler, zieht viel eher weiter, wenn sich Langeweile breit macht, klappert viel eher andere Locations ab, weil man sich viel weniger an einen bestimmten Ort gebunden fühlt, man lässt sich wieder leichter auf die Möglichkeiten der Großstadt ein. Das Ausgehen wird auch wieder billiger, weil man auf einen eventuell anfallenden Eintritt als Draußenrumsteher verzichten und das Bier von zu Hause mitbringen kann. Außerdem lässt sich viel schneller feststellen, wo etwas los ist und wo nicht. Die leidige Frage, ob es sich irgendwo lohnt oder nicht, wird ja bereits vor dem Club beantwortet; wenn vor ihm genügend Menschen herumstehen, gesellt man sich einfach hinzu.

Bestens eingestellt auf die Draußenrumsteher hat sich der Tischtennis-Club „Dr. Pong“, ganz in der Nähe des NBI. Hier wurde den Draußenrumstehern sogar extra ein echter roter Teppich ausgelegt. Damit will man anscheinend sagen: Wir wollen gar nicht, dass ihr hereinkommt, wir freuen uns, dass es euch draußen so gut gefällt.

Rote Teppiche vor den Clubs, das sollte in Berlin Schule machen. All diese schlimmen Strandbars in dieser Stadt simulieren Natur und das begehrte Freiheitsgefühl ja nur. Rote Teppiche vor den Clubs dagegen stehen für wirkliche Urbanität. Hier fühlt man sich auch wie im Urlaub und versucht trotzdem nicht zu leugnen, dass man sich mitten in der Stadt befindet.

ANDREAS HARTMANN