WM setzt Finnland in Alarmbereitschaft

Das am Samstag beginnende Leichtathletikfest in Helsinki sorgt für ein Aufgebot an Sicherheitskräften,wie es das Land noch nicht erlebt hat. Besonders unter Beobachtung: Menschen mit nicht nordischem Äußeren

STOCKHOLM taz ■ „Wenn es einen Ort gibt, wo solche Veranstaltungen sicher durchgeführt werden können, dann ist das Finnland und Helsinki.“ Selbstsicherer Sätze wie dem von Finanzminister Antti Kalliomäki zum Trotz ist in den letzten Wochen die Nervosität in Finnland gewachsen. Die am Samstag beginnenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Helsinki haben die Sicherheitskräfte des Landes in volle Alarmbereitschaft versetzt, nach den Terroranschlägen von London deutlich intensiver als eigentlich geplant. Ein neues, verschärftes Polizeigesetz war noch davor verabschiedet worden, das sowieso auf 6,5 Millionen Euro veranschlagte Budget für zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen dürfte deutlich überschritten werden. Zudem wurde vor einer Woche aufgrund eines Kabinettsbeschlusses das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt, die Grenzkontrollen innerhalb der Union sind wieder aufgenommen worden. Am Wochenende erhielt die Polizei darüber hinaus die Möglichkeit, auf Personal und Ressourcen des Militärs zugreifen zu können.

„Wir nehmen diese Aufgabe ernst“, verkündete Ministerpräsident Matti Vanhanen und machte gleichzeitig klar, dass die von den Sicherheitskräften geforderte Aufmerksamkeit prinzipiell recht überschaubar sei, da es nur eine bestimmte Menschengruppe zu überwachen gelte, von der potenzielle Gefahr drohe: Solche mit nicht nordischem Äußeren. Diesen Einreisenden kündigte er vorab schon einmal mögliche Unannehmlichkeiten an: Finnland sei „bevölkerungsmäßig ja eine kleine und relativ homogene Gesellschaft“, sodass die Polizei ihre besondere Aufmerksamkeit gegen „Fremde“ richten werde: „Aber ich hoffe auf Verständnis auch dafür, denn präventive Maßnahmen fordern Handeln.“ Oder wie es die in Helsinki erscheinende Tageszeitung Hufvudstadsbladet etwas deutlicher formulierte: „Wenn sich beispielsweise arabische Touristen, welche die Weltmeisterschaften besuchen, diskriminiert fühlen, sollen sie nicht finnische Behörden dafür verantwortlich machen, sondern die Terroristen.“ Reisende aus den nordischen Nachbarländern, welche durch Haar- oder Hautfarbe deutlich als solche erkennbar sind, müssen also trotz zeitweisen Außerkraftsetzens der seit einem halben Jahrhundert bestehenden Passunion eher nicht mit einer Kontrolle rechnen.

Was nicht nur viele Oppositionspolitiker als blauäugig kritisieren. Die werfen der Regierung gleichzeitig vor, die Entwicklung der globalen Bedrohung der letzten Jahre verschlafen zu haben, mit dem Ergebnis, dass Finnland nun eine gewaltige Sicherheitslücke zu schließen habe. Munition für diesen Vorwurf lieferte die Regierung selbst, als sie kurz vor der parlamentarischen Sommerpause den Entwurf eines neuen Polizeigesetzes einbrachte, das noch schnell vor dem Sportgroßereignis verabschiedet wurde. Finnlands Polizei hat nun so viel Bewegungsspielraum und Kompetenzen bei der präventiven Verbrechensbekämpfung wie noch nie. Ihr wurden neue Möglichkeiten zur Überwachung der Telekommunikation eingeräumt und zur Verbrechensprovokation, welche die Infiltration in kriminelle Gruppen deutlich erleichtert und bis hin zur Zulässigkeit der Mitwirkung der Polizei bei Straftaten reicht.

Über Nacht habe sich Finnland damit in einen potenziellen Polizeistaat verwandelt, fürchten Kritiker. Der Rechtsschutz des Einzelnen sei nicht mehr viel wert. Doch die Regierung verteidigt sich damit,dass man habe sich lediglich dem EU-Niveau angepasst habe. Und kündigte für den Herbst im Hinblick auf die EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr sogar eine erneute Novellierung des Polizeirechts mit weiteren Verschärfungen an. Konkrete Drohungen gegen Finnland im Zusammenhang mit der bis 14. August dauernden Leichtathletik-WM, von welcher einige Medien erfahren haben wollen, werden von Paavo Selin, Chef der Terrorismusbekämpfung beim Verfassungsschutz, dementiert: Es gebe dafür auch keinerlei Anknüpfungspunkte. Was so möglicherweise nicht ganz stimmt. Wenn gerade jetzt bekannt wurde, dass Finnland ab September irakische Gefängnisdirektoren und übriges Justizvollzugspersonal aus diesem Land ausbilden wird, ist das eine Information, die Helsinki möglicherweise gern noch zwei Wochen zurückgehalten hätte.

REINHARD WOLFF