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meinungsstark

„Schlechte Manieren“ in Tunis?!

„Lagebericht aus Tunis: Medienstar Polizeiroboter“, taz vom 12. 4. 20

„Neben den Autos sind sogar die schlechten Manieren verschwunden. (…) disziplinierter Abstand überall. Das Miteinander der von notorischen Geldsorgen geplagten Tunesier ist normalerweise geprägt von kleinen Grenzüberschreitungen, ohne Ellenbogen glaubt man sich nicht wirklich durchsetzen zu können.“ Den „schlechten Manieren“ tunesischer Bürger*innen wird das sogenannte disziplinierte Abstand­halten gegenübergestellt. Eine „Tugend des Westens“, die nun auch die sonst so „grenzüberschreitenden“ Tunesier*innen gelernt haben. Der Satz, „Selbst die Taxifahrer sparen sich ihre sonst so verwegenen Verschwörungstheorien“, nimmt nun die nächste Gruppe, am Berufsstand identifizierbare Verschwörungstheoretiker, in die abwertenden Verallgemeinerungen mit auf. Neben diesen zutiefst rassistisch-kolonialistischen Ausführungen kommt nun noch eine eurozentristische Verkennung des Engagements der Bürger*innen in Tunesien hinzu: „Eine neue Solidarität hat Tunesien erfasst. Viele private Initiativen packen dort an, wo der Staat ein Vakuum hinterlässt.“ Auch dies ist keine neue Solidarität, denn die Menschen haben schon lange durch privates und zivilgesellschaftliches Engagement fehlende sozialstaatliche Absicherungen aufgefangen. Nicht erst seit der Revolution 2011 sollte dies auch für das „europäische Auge“ sichtbar sein: die große zivilgesellschaftliche und solidarische Kraft der Menschen, die nicht nur eine Diktatur zum Sturz brachten, sondern auch seit Jahren ihr Leben und ihre Politik neu gestalten.

Yasmine Chehata, Köln

Kleine Wohnungseigentümer in Not

betr.: Wohnungseigentümergesetz

Es scheint so, dass die Reform des Wohnungseigentümergesetzes im Schatten der Coronakrise fast unbemerkt von der Öffentlichkeit nun in Gesetzesform gegossen wird. Viele Abgeordnete sind mit anderen Themen beschäftigt und abgelenkt, nur noch wenige sitzen wirklich im Bundestag. Obwohl der vorgelegte Gesetzesentwurf viel Kritik von allen Eigentümerverbänden auf sich zog, wurde er fast unverändert durchgewunken beziehungsweise soll dem Bundestag so vorgelegt werden. „Wohnen im Eigentum“ spricht von einer Teilenteignung der Wohnungseigentümer. Die jetzt schon teils unverhältnismäßige Macht einzelner teils ungelernter Verwalter(innen) wird fast aberwitzig verstärkt und die Möglichkeit von Regressforderungen gegen Fehler und Missbräuche der Verwaltung wird eingeschränkt. Verwalter erhalten Zusatzeinkünfte durch Modernisierungsmaßnahmen. Sicherlich wird dies neben den erwünschten Wirkungen auch zu unnötigen und unwirtschaftlichen Modernisierungen führen mit entsprechend kräftigen Mieterhöhungen, die viele Menschen nicht werden bezahlen können. Das ist die Schattenseite der ökologischen Wende. Viele kleine Wohnungs­eigentümer werden auf lange Sicht an größere Immobilienfirmen mit eigenen Rechtsabteilungen verkaufen, welche ihre Rechte gegen Verwalter besser schützen können.

Kai Hollensteiner, Bonn

Postwachstumsökonomie?

„Wider den Wachstumsfetisch“, taz vom 20. 4. 20

Die wachstumskritischen Mitarbeiter*innen des „Konzeptwerks Neue Ökonomie“ wittern Morgenluft – sie hegen die Hoffnung, die Coronakrise könnte einen sozialökologischen Wirtschaftsumbau befördern, weg von der zerstörerischen Wachstumswirtschaft, hin zu einer deglobalisierten Postwachstumsökonomie. Die Krise also als Chance? Ich habe da meine Zweifel. Offensichtlich sind die meisten Menschen hierzulande mit dem Krisenmanagement der politischen Klasse einverstanden und verspüren wenig Lust auf postwachstumsökonomische Experimente. Zudem wirbt das Konzeptwerk ziemlich unreflektiert für kleinräumige Wirtschafts- und Politikmodelle. Zu einer kosmopolitisch orientierten Kapitalismuskritik leider nur ein sehr bescheidener Beitrag.

Geert Naber, Oldenburg

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