: Furcht vorm Klassenerhalt
Der VfB Lübeck hatte große Chancen, in die Dritte Liga aufzusteigen. Der Abbruch der Saison könnte das nun verhindern. Immerhin bei den Einnahmen besteht Hoffnung
Von Christian Görtzen
Wenn die Unterstützung auf klassischem Weg nicht möglich ist, kommt die Hilfe manchmal über andere Pfade. Beim Fußball-Regionalligisten VfB Lübeck haben sie diese Erfahrung gerade gemacht. Der Verkauf von Merchandising-Artikeln boomt bei dem Traditionsclub. In Zeiten der Coronakrise, die zum Wegbrechen der tragenden Säule auf der Einnahmenseite – dem Verkauf von Eintrittskarten – geführt hat, sind die Verkaufszahlen der Fanartikel ein kleines Licht beim Durchschreiten eines langen, dunklen Tunnels.
Es gehen dutzendweise Trikots, Schals, Mützen und Bücher in den Versand. „Wir steuern auf Umsätze wie zur Weihnachtszeit zu“, sagt Vorstandsmitglied Florian Möller. „Wir sind beim vier- bis fünffachen Betrag, den wir sonst im Frühjahr erzielen.“
Basierend auf diesem Erfolg haben sie beim VfB auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts reagiert und sind in die Fertigung von Behelfsmasken eingestiegen. „Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht“, sagt Möller. „Upcycling“ sei die Losung. Ältere kennen den Prozess unter dem Begriff Wiederverwertung.
Der schleswig-holsteinische Club arbeitet mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) zusammen – wie schon 2019, als der VfB Lübeck 100 Jahre alt wurde und aus alten Trikots Rucksäcke, Bauch- und Handytaschen fertigen ließ. Nun werden in Kooperation mit dem DRK Behelfsmasken mit VfB-Emblem gefertigt. „Beim DRK macht dies ein Flüchtling aus Syrien, der in seinem Geburtsland als Schneider gearbeitet hat“, sagt Möller. „Wir haben so 40 bis 60 alte Trikots geliefert. Er fertigt aus einem Trikot fünf bis sechs Masken.“
Verkauft werden sie dann zum clubunterstützenden Preis von 19,19 Euro – als Reminiszenz an das Gründungsjahr des VfB, der noch immer keine Kurzarbeit beantragt habe, wie Möller berichtet. Sein Stolz in der Hinsicht ist berechtigt, hat der Verein doch in der jüngeren Vergangenheit so einige schwierige Phasen durchmachen müssen. Im April 2008 stellte Lübeck einen ersten Insolvenzantrag, im November 2012 einen weiteren.
Nun, im 101. Jahr des Bestehens, hatten sie beim VfB alle sehr darauf gehofft, dass sie nach zwölf Jahren in der viertklassigen Regionalliga und sogar zeitweise der fünftklassigen Oberliga endlich in die Dritte Liga würden zurückkehren können. Der Glaube, dass es dieses Mal gut ausgehen würde, wuchs am 29. Februar. Lübeck gewann an jenem Tag beim amtierenden Meister VfL Wolfsburg II mit 2:1 und zog am Konkurrenten vorbei, auf den ersten Tabellenplatz.
Florian Möller, Vorstandsmitglied VfB Lübeck
Sollte das Team von Trainer Rolf Landerl auch nach dem 34. Spieltag dort stehen, wäre es vollbracht. Da in diesem Jahr keine Play-off-Spiele mit einem Meister einer anderen Regionalliga nötig sind, wäre der Aufstieg perfekt – in normalen Zeiten, wohlgemerkt. Die Saison wurde wegen des Coronavirus aber unterbrochen.
Der Spitzenreiter VfB Lübeck, der bei einer schon mehr absolvierten Begegnung fünf Punkte Vorsprung auf Wolfsburg II besitzt, muss noch neun Partien bestreiten. Fünf davon im eigenen Stadion. Wenn die ohne Zuschauer stattfinden würden, dann ergibt sich – gemessen am bisher erreichten Schnitt von 3.123 Besuchern bei den Heimspielen – ein Fehlbetrag von insgesamt rund 120.000 Euro.
Schmerzhaft, keine Frage, aber genau genommen nur eine Randerscheinung. Weitaus wichtiger ist der Sprung in die Dritte Liga. Nur: Es droht weiterhin der Abbruch der Saison und eine Aussetzung der Auf- und Abstiegsregelung über alle Ligen hinweg. Das hieße, dass der VfB weiterhin in der Vierten Liga spielen müsste. „Was nicht sein darf, ist eine Annullierung der Saison“, findet Möller. „Entweder man stockt die Dritte Liga durch die Meister der Regionalligen auf oder man sollte nach dem aktuellen Tabellenstand den Aufsteiger ermitteln.“ Es ist fraglich ob, dieser Wunsch Wirklichkeit wird.
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