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Extrem widerstandsfähig

Für Jazzer zu punkig, für Popfans zu frickelig, für Noise-Apologeten zu gediegen – trotzdem haben The Necks viele Fans. Ein Porträt aus Anlass des neuen Albums „Three“

Von Lichtenberg bis Sydney: The Necks mit Tony Buck in der Mitte Foto: Camille Walsh

Von Jens Uthoff

Als Tony Buck an diesem späten Aprilnachmittag auf dem Bildschirm im Videochat auftaucht, entschuldigt er sich als Erstes. „Ich habe die Zeit ein bisschen vergessen“, sagt er, „deshalb die Verspätung, sorry.“ Er habe in seiner Arbeitswohnung an ein paar Sachen herumexperimentiert und nicht auf die Uhr geschaut. Genau dort, in einem ehemaligen Laden im Lichtenberger Kaskelkiez, sitzt er nun auch vor dem Laptop, umgeben von einem Drumkit, Gitarren und anderen Instrumenten. Mit einem Kameraschwenk gibt er eine kurze Proberaumführung.

Zwischendurch greift er sich eine Laute und schabt mit einem Metallteil über die Saiten, um einen Eindruck zu vermitteln, wie er arbeitet. Es zirpt, quietscht und fiept. Tony Buck ist Perkussionist und Gitarrist der aus­tralischen Band The Necks, die zu den renommierten Experimentalbands zählt. Seit fast 34 Jahren macht das Trio zusammen Musik, kürzlich ist mit „Three“ das 21. Album erschienen. Eingespielt haben sie die drei neuen Stücke – jedes dauert gut zwanzig Minuten – Anfang des Jahres in Sydney. Bucks zwei Bandkollegen, Pianist Chris Abrahams und Kontrabassist Lloyd Swanton, leben in Australien. Buck verbringt die ersten Monate des Jahres oft in Down Under, dann touren sie mit The Necks und nehmen Musik auf.

Hypernervöse Trommeln

Nach Berlin kam Buck, der in Sydney geboren und heute 57 Jahre alt ist, in den späten Neunzigern – und blieb. Wenn nicht gerade ein Virus wütet, ist er mit ganz unterschiedlichen Projekten regelmäßig in Berliner Clubs zu Gast. Über „Three“, das mit einem hypernervösen Drumstück mit Jungle- und Breakbeat-Anmutung beginnt, sagt Buck: „Eigentlich machen wir auf neuen Alben gerne das Gegenteil dessen, was wir auf den Werken davor gespielt haben. ‚Body‘, veröffentlicht 2018, war von Rock beeinflusst und ziemlich up-tempo. Nun waren wir uns uneins, ob wir ein weiteres dynamisches Album machen wollen oder ein zurückgenommenes. In gewisser Weise haben wir jetzt beides zugleich.“ Auf den ersten Track folgt so mit „Lovelock“ ein atmosphärisch-mäanderndes Stück, das von Ambient, Drone und Industrial beeinflusst ist. „Further“ ist dann zum Abschluss der zugänglichste Track. Insbesondere das Piano und der Bass erinnern an Rock- und Pop-Arrangements, die Percussions sorgen auch hier für ein fiebriges Grundrauschen.

Die Geschichte der Necks beginnt Anfang der Achtziger, als sich Buck, Abrahams und Swanton am Sydney Conservatorium of Music begegnen. Alle drei spielen zu der Zeit noch in anderen Bands, Buck ist Schlagzeuger der von Postpunk und Jazz geprägten Band Great White Noise. 1987 gründen sie dann The Necks. „Unsere früheren Projekte waren an ein Ende gekommen, wir wollten andere Formen des Zusammenspiels ausprobieren. Vieles hatte damit zu tun, dass wir vom Jazz wegwollten. Wir waren begeistert von Minimal Music, lernten indische und afrikanische Musik kennen, all die Arten von Sound, bei denen Tondauer anders eingesetzt wird als im Jazz.“

Interaktion, Zusammenspiel, Improvisation werden nun wichtig für die drei. Über einen Zeitraum von sechs Monaten proben sie dreimal pro Woche, zunächst ohne definiertes Ziel. Nach einem ersten Auftritt an der Universität von Sydney machen sie gemeinsam weiter.

The Necks sind erstaunlich erfolgreich, dafür, dass sie in keine Ecke so richtig passen wollen. Für Jazzer sind sie zu punkig, für Rock- und Popfans zu frickelig, für Noise-Apologeten zu gediegen. Aber in allen Lagern haben sie ihre AnhängerInnen. Auch deshalb, weil Musikerkollegen aus vielen Genres sie schätzen – so tourten sie in Aus­tra­lien etwa mit Nick Cave. „Leute lernen uns zum Teil auch erst durch unsere Zusammenarbeit mit anderen Künstlern kennen. Zuletzt haben wir etwa bei dem neuen ­Album der Swans mitgewirkt, und auch mit dem britischen Elektronikduo Underworld haben wir drei gemeinsame Stücke veröffentlicht.“

Einen Großteil der Einnahmen generieren die Necks, wie fast alle Musiker, über Liveauftritte. Die sind ja nun vorerst nicht möglich. „Eigentlich hätten wir gerade durch Amerika touren sollen, aber ich bin froh, dass das frühzeitig abgesagt wurde. Sonst würden wir jetzt vielleicht in den USA festsitzen.“

Buck lebt mit der Pianistin Magda Mayas zusammen. Gemeinsam sind sie das Duo Spill, beide spielen zudem in dem Quartett Das B. In den vergangenen Jahren hat Buck auch mit vielen bekannten Musikern der Berliner Experimentalszene gemeinsame Sache gemacht (etwa mit Axel Dörner oder Frank Gratkowski). Die Szene gleiche einem großen Freundeskreis, sagt er: „Wenn ich in Berlin spiele, mache ich das weniger, um Geld zu verdienen, als vielmehr. um mit Freunden zusammenzukommen.“

Droht dieser Austausch, wie er in der hochgelobten Experimentalszene bisher Realität war, durch Corona Schaden zu nehmen? „Ich hoffe, dass Orte wie der ‚Petersburg Art Space‘, ‚KM28‘ oder ‚ausland‘ mit den Hilfen von Land und Bund und mit Spenden durch die Krise kommen. Künste, Gastgewerbe und Unterhaltungssparte sind Säulen der Gesellschaft, die viel zu wenig wertgeschätzt werden für das, was sie anbieten. Wenn etwas staatliche Unterstützung verdient, dann diese Bereiche“, sagt Buck. Die Experimentalszene hält er für extrem widerstandsfähig: „Sie ist so groß, so stark und so sozial engagiert, dass sie nach der Krise genauso lebendig sein wird wie zuvor.“

The Necks: „Three“ (ReR Megacorp), Download: thenecksau.bandcamp.com

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