berliner szenen
: Kleine Geste, großer Gefallen

Ich müsste für meinen Vater einkaufen gehen. Er gehört zur sogenannten Risikogruppe: männlich, 70, Herzpatient.

Das Problem ist nur: Er lebt eine Dreiviertelstunde von mir entfernt. Mit dem Rad wird aus einer kurzen Supermarkttour für ihn schnell ein halber Tagesausflug. Ich habe aber weniger Zeit denn je: Ich muss im Homeoffice 30 Stunden rocken und zeitgleich meine Tochter bespaßen.

Als ich gerade versuche, meinen Vater für Onlineshopping zu gewinnen, ruft eine ehemalige Schülerin von ihm an. Sie ist ihm, nachdem sie vor Jahren bei ihm Deutsch gelernt hat, so verbunden geblieben, dass sie ihn mittlerweile als ihren deutschen Papa bezeichnet.

„Ich übernehme Papa!“, ruft sie nun fröhlich ins Telefon, als sei es nichts. „Onlineshopping ist doch Quatsch. Er darf auf keinen Fall in den Supermarkt, und du musst dich ja auch noch um deine Mutter kümmern.“ Ich zögere. Sie muss selbst zu Hause arbeiten und hat zwei Töchter. Aber sie besteht darauf: „Das ist nur eine kleine Geste“, sagt sie und fragt dann: „Sagt man das so?“ Ich lache: „Kann man sagen. Aber in Wahrheit ist es ein großer Gefallen.“

Kurz nach dem Telefonat gehe ich mit meiner Tochter im Naturschutzgebiet spazieren. Eine Nachbarin läuft an uns vorbei, dreht sich dann um und fragt meine Tochter: „Magst du CDs?“ Die nickt. Als wir nach Hause zurückkommen, steht auf dem Küchentisch eine große Geschenktüte. Mein Freund erklärt: „Die CDs wurden gerade von der Nachbarin abgegeben. Sie meint, sie seien sogar schon desinfiziert.“

Ich bin gerührt. Vater und Kind sind also erst mal versorgt. Und ich kann mich an die Arbeit machen. Stattdessen komme ich ins Sinnieren: Wenn doch nur alle solche Mitmenschen um sich hätten oder selbst solche Mitmenschen würden! Ich überlege, was ich selbst noch tun könnte. Eva-Lena Lörzer